
Der Libanon lässt einen ambivalent, wenn nicht ratlos zurück – im Wein liegt jedoch Hoffnung Teil 2
Der Legende nach stammten die Weine, die Jesus seinen Aposteln beim letzten Abendmahl einschenkte, aus dem Libanon. Was nicht unrealistisch ist, denn vor 2.000 Jahren wusste man in Bordeaux, Montalcino und Mainz noch nichts vom herrlichen Geschmack und der betörenden Wirkung vergorener Trauben – in Beirut aber sehr wohl. Eine Reise durch ein Land der Genüsse, das einen doch ratlos zurücklässt.
An Tag 2 will Toni mir zunächst etwas anderes zeigen als ein Weingut. Wir fahren nach Byblos, eine der ältesten menschlichen Siedlungen der Welt, die Geschichte reicht bis in das Jahr 5.000 vor Christus zurück, später war der Hafen der Stadt wichtigster Umschlagplatz für das „Papyrus“, das von Ägypten nach Griechenland gebracht wurde, um die ersten Bücher der Menschheit herzustellen. Die Griechen benannten das Urpapier nach der Stadt im Libanon, später entstand daraus der Name eines der Bücher das die Menschheitsgeschichte am nachdrücklichsten prägte, der „Bibel“. Byblos also, die archäologischen Ausgrabungsstätten sind gerade wegen allenthalbener Einsturzgefahr weitgehend geschlossen, was Toni nicht wissen konnte. Was zu besichtigen bleibt ist der durchaus beeindruckende und schöne, aber an diesem Tag auch menschenleere Hafen. Die Innenstadt wurde zu einer Art „Freiluft-Mall“ voller Kleidungs-, Souvenir- und Tineffläden umfunktioniert, eine Art Festmeile des Konsum-Kommerzes. Nur ohne Konsum, denn auch diese beiden Straßen, die zynischerweise auch noch einem alt-orientalischen Suq nachempfunden sein sollen, sind menschenleer. „Touristen kommen ja kaum noch her und die Libanesen haben kein Geld mehr“, seufzt Toni und wieder ist da ist diese Trostlosigkeit über das eigene Land, das er doch so sehr liebt.
Also doch wieder Wein. Wir machen uns wieder auf den Weg Richtung Syrien und steuern Chateau Kefraya an. Ich hatte einige Weine des Gutes bereits in Beiruter Restaurants probiert und war von der Qualität durchweg überzeugt. Auf Kefraya stehen wir dann allerdings endgültig im Wein-Disneyland. Eine elektrische Bahn auf Rädern lädt zur Weingutstour ein, Verkostungen gibt es stündlich und die riesige Terrasse des Weingut-eigenen Restaurants wirkt wie die Veranda des Sommersitzes der Präsidenten der Vereinigten Staaten. Die Szenerie ist bei allem Kitsch allerdings tatsächlich malerisch, das Gut ist umgeben von den sehr gepflegten eigenen Rebenfeldern und auslandenden Mottogärten mit einer Pflanzenpracht aus der gesamten Welt. Aber wir sind ja nicht zum Vergnügen hier. Die Verkostung gerät ähnlich wie die in Chateau Ksara, hier ist alles handwerklich sauber, sortenecht und auf den internationalen Markt getrimmt – was bei guten Weinen kein Nachteil sein muss. Die Sonne brennt, Toni und ich entscheiden uns für ein ausgedehntes Mittagessen, um dann zurück nach Beirut zu fahren und am nächsten Tag weiterzumachen. Ich genieße das wirklich hervorragende, im hauseigenen Wein geschmorte Huhn und dazu ein Glas Comte de M, das rote Spitzenprodukt von Chateau Kefraya. Wie die meisten libanesischen Rotweine vereint Comte de M die beiden wichtigsten Rebsorten zwei der wichtigsten französischen Weinbaugebiete: Cabernet Sauvignon aus dem Bordelais und Syrah von der Rhone. Ein großer Rotwein, dunkel und dicht, würzig, mit starker dunkler Frucht, von einem gut balancierten Säure- und Gerbstoffgerüst gehalten.
Toni hat zum ersten Mal, seit wir uns gemeinsam auf den Weg gemacht haben, etwas gegessen. Einen grünen Salat ohne alles, dazu ein Bier, „was eigentlich nicht erlaubt ist“. Er hat vor zwei Monaten erfahren, dass seine Nieren nicht mehr richtig arbeiten, für die Dialyse hat er kein Geld, also bleibt nur eine strenge Ernährungskontrolle. Die übernimmt seine Frau für ihn, „aber manchmal stehle ich Schokolade oder Salz aus der Küche. Und Bier muss auch sein.“ Tonis Mutter und sein Onkel starben an Nierenversagen. Seine Familie gehörte bis vor ein paar Jahren zur Mittelschicht, Toni selbst arbeitete als Monteur mit Aufträgen im ganzen Land und im benachbarten Syrien. Er stoppt plötzlich auf der Autobahn zwischen Damaskus und Beirut und zeigt mir ein Gewerbegebiet: „Hier haben sie mir vor 30 Jahren einen Hektar Land angeboten. Für 10.000 Libanesische Pfund.“ Dafür bekommt man heute einen Liter Mineralwasser. Toni hatte das Geld, scheute aber das Risiko. „Ich hätte es machen sollen. Denn danach haben sie uns alles gestohlen“. Sie, das sind die Banken, die Politiker, die Reichen. Spätestens seit 2019 begannen einige der großen Banken und Unternehmen des Landes in Kollaboration mit der politischen Führung, etliche Milliarden Dollar außer Landes zu bringen. Die Folge war eine massive Entwertung der libanesischen Währung und ein Kompletteinsturz der Wirtschaft des Landes, das Bruttoinlandsprodukt sank von 2020 bis heute um 60 Prozent. Das machte Menschen wie Toni, die vorher nicht reich waren, aber gut leben konnten, über Nacht arm. „Wir arbeiten für nichts. Meine Frau verdient als Krankenschwester 50.000 Pfund am Tag. Wenn ich sie einmal nicht abholen kann und sie ein Taxi nehmen muss, nach der Arbeit, weil es zu Fuß zu gefährlich ist, kostet das 75.000 Pfund.“ 300 Dollar braucht die Familie für die Monatsmiete und ein paar Stunden Strom am Tag. Das entspricht nach offiziellem Wechselkurs rund 500.000 Pfund, in guten Monaten verdienen Toni und seine Frau gemeinsam das Doppelte, manchmal sogar ein bisschen mehr. Die Preise für Weizen, Tee, Bohnen und Brot sind aber alleine im Jahr 2022 um 60 Prozent gestiegen, nach schon vorherigen Höchstständen seit dem Scheitelpunkt der Krise in 2019. Dies führt dazu, dass immer mehr Menschen den Libanon zu verlassen versuchen. Tonis Bruder Frank ist vor einem Monat in die USA ausgewandert, als Angestellter der amerikanischen Botschaft hatte er Anspruch auf eine Greencard. „Dort steht er jetzt mit 61 Jahren am Fließband und schuftet jeden Tag zehn Stunden. Aber alles ist besser, als hier zu sein.“ Tonis Töchter sind 24 und 28 Jahre alt, gebildet, sprachgewand, weltoffen. Noch können sie sich nicht für ein Leben jenseits der Heimat entscheiden. „Ich bete jeden Tag, dass sie den Libanon verlassen. Hier ist keine Zukunft für sie“, sagt Toni, seine Schultern hängen schon längst und seine Augen haben den feinen Glanz verloren, der ihn so sympathisch und freundlich macht.
Von Michael Ortmanns
Fortsetzung in der nächsten Ausgabe
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