
Museum Wiesbaden
Aufgrund des derzeitigen Corona-Lockdowns gibt es zwei Alternativen zur Besichtigung der Ausstellung von August Macke im Museum Wiesbaden. Der sehr gute Katalog ist im Buchhandel zwar fünf Euro teurer als im Museum, aber immer noch preiswert (29,95 Euro, Imhof Verlag). Wer das Geld nicht dem Buchhändler seiner Wahl geben will, kann zumindest virtuell kostenlos ins Wiesbadener Museum, mit der Museums-App, die einen Audioguide der Macke-Schau umfasst und die wichtigsten Bilder zeigt, etwa den „Seiltänzer“ von 1914.
Der setzt behutsam Fuß vor Fuß auf dem dünnen Seil auf, seine Balancierstange hält er waagrecht. Um ihn muss man wahrlich keine Angst haben, balanciert er doch seelenruhig droben über den Menschen. Der Artist wirkt relativ klein im Bildzentrum, der Zuschauer am Bildrand ist viel größer. So kann sich der Museumsbesucher mit beiden Figuren identifizieren, mit dem Seiltänzer und dem Zuschauer. Die Welt des Zirkus ist heiter und steckt voller Wunder, scheint der Maler sagen zu wollen. Das ist typisch für den optimistischen und noch heute ungemein populären August Macke (1887–1914).
Mit dem „Seiltänzer“-Bild beginnt ein schöner Überblick über Mackes Werk im Museum Wiesbaden, 100 Jahre nach der Gedächtnisschau, die 1920 in Frankfurt, Wiesbaden und Berlin mit 190 Bildern für Aufsehen sorgte. Für die jetzige Schau ließen sich mühelos 16 „Kronzeugen“ auftreiben, die bereits 1920 zu sehen waren. Freilich besitzt Wiesbaden nur eine kleine Zeichnung des Künstlers, aber dafür viele Bilder seines Kollegen Alexej von Jawlensky, mit 100 Werken sogar einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen des Russen.
Das Kunstmuseum in Bonn, wo Macke lange lebte, besitzt indes viele Bilder des Künstlers, auch wenn der Nachlass im Westfälischen Landesmuseum in Münster liegt. Jetzt haben die Museen in Bonn und Wiesbaden für eine Weile je 60 Werke ihrer Hauptprotagonisten getauscht. Die Jawlenskys gingen nach Bonn, die Mackes nach Wiesbaden, ergänzt um 20 Bilder von anderen Leihgebern. „August Macke: Paradies! Paradies?“, so der Titel der Schau, zeigt zum Abschluß noch die „Rheinischen Expressionisten“, die Macke einst zum gemeinsamen Verbund inspiriert hatte.
Der Maler durchlebte eine „unglaublich rasante Entwicklung bis zu seinem Tod mit nur 27 Jahren“, meint Kurator Roman Zieglgänsberger, „er war das jüngste Mitglied der Gruppe ‚Blauer Reiter’“. Viel Zeit hatte Macke also nicht, der schon wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkrieges im Feld starb. Er hatte erst an der Düsseldorfer Akademie, dann an der dortigen Kunstgewerbeschule studiert und auch beim deutschen Impressionisten Lovis Corinth reingeschnuppert.
Aber er blieb Autodidakt. Erst eine Parisreise 1908 öffnete ihm die Augen. Dort faszinierte ihn das Werk von Henri Matisse, die forsche Malweise, die kräftigen Farben und die zahlreichen Ornamente. Später sog August Macke die Einflüsse von Robert Delaunay auf und wurde so zum Maler der Farben und des Lichtes. Seine Bilder von Spaziergängern im Park oder von Flaneuren vor Schaufenstern machten ihn weltberühmt.
Doch die Wiesbadener Schau mit ihren sechs thematisch-chronologischen Räumen beginnt mit Mackes wichtigstem Motiv, den Familienbildern. Immer und immer wieder porträtierte der Expressionist seine Frau Elisabeth, mal in ein Buch versunken, mal schlummernd. Oder als „Stickende Frau auf dem Balkon“ – das Gemälde zeigt schon 1910 Mackes ganze Meisterschaft. So rahmte er mit Blumentöpfen ihren Kopf und betonte ihn noch mit roten Blüten – ein kleines Detail nur, aber markant in der Wirkung. Ohnehin erscheint seine Frau mit ihrem tiefen Blick fast als Heilige.
Auch Mackes weibliche Akte haben nichts Erotisches oder Vulgäres an sich, der Betrachter muss sich nicht als Voyeur fühlen. Besonders schön ist das fast madonnenhafte „Nackte Mädchen mit Kopftuch“ von 1910 aus den Frankfurter Städel. Die Nacktheit wirkt bei Macke völlig natürlich, die Frauen sind nicht äußerlich kantig und innerlich zerrissen, wie etwa bei den zeitgleich arbeitenden Mitgliedern der „Brücke“-Gruppe.
August Macke malte ein Paradies auf Erden für Frauen und Männer, für Kinder und Tiere. Die Arbeitswelt indes blendete er völlig aus. Bei ihm herrscht nur Müßiggang, flanierend durch Park und Stadt, durch Zirkus und Zoo. Zwar entpuppt sich auch der kleinste Park als Dschungel, aber er wirkt nicht bedrohlich. Erst auf den zweiten Blick scheint einiges merkwürdig in diesen Bildern, denn die Menschen haben kein Gesicht und sie lächeln nicht. Dem Paradies fehlt damit noch ein Stück Glückseligkeit.
Christian Huther
Bis 14. Februar 2021
Friedrich-Ebert-Allee 2
Tel.: 0611 335 22 50
www.museum-wiesbaden.de


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