
Ich verfolge die politische Arbeit unserer Regierung nicht minutiös, nicht in allen Details und mit dem großen Überblick gleichzeitig, weshalb ich vorangeben muss: Oberflächlich betrachtet. Oberflächlich betrachtet: Fühlt es sich auch für Sie so an, als würden wir derzeit nur von Zweien regiert?
Ein junger Mann, der um die halbe Welt jettet, damit wir es im nächsten Winter doch wieder kuschelig haben am Gasofen, und seine liebe Freundin, die die andere halbe Welt bereist, um die riesengroße Globalkatastrophe vielleicht doch noch soweit möglich abzuwenden: Das sind offenbar die beiden einzigen, die in Berlin morgens früh aufstehen, um ihren Job zu machen; und abends beim letzten Interview in den Tagesthemen tatsächlich dann auch ein wenig müde wirken. Ich wollte Dr. Karl Lauterbach, ich wollte ihn. Die Zeit mit Jens Spahn war schön, unterhaltsam auf eine Art; ich erinnere das goldige Foto von ihm in der Pflegerkluft, und seinen Dackelblick dazu: Eine sterilen Verbandswechsel habe ich aber trotzdem nicht drauf, sorrychen. Danke auch nochmal für alle meine Corona-Boni, Herr Spahn. Fast musste ich ein zweites Konto eröffnen, weil das erste voll war. Aber dann wollte ich Lauterbach; wie cool, dachte ich, auch mal wieder einen im Amt zu haben, der Ahnung hat von seinem Ressort. Aber jetzt twittert er ein bisschen langweilig und übertägig nur immer wieder, dass es Corona noch gibt; ja, wissen wir, und jetzt? „Die Lage auf den Intensivstationen entspannt sich“, aber „wir müssen weiterhin vorsichtig sein“; um nur zwei seiner Textbausteine hier aufzulisten. Der Herbst, ja. Und Omikron und Delta ja auch noch, und so weiter, schon klar.
Die Lage auf den Intensivstationen entspannt sich nicht, übrigens, sie ähnelt nur wieder der vorpandemischen Situation. Es ist nicht lange her, und wir haben es nicht vergessen: Es war schon vor 2020 relativ unentspannt. 172.000 zur Zeit nicht tätige Pflegekräfte rufen im Moment zwar ganz laut: Hier, hallo, hier bin ich! Sie stünden zur Verfügung, bessere Arbeitsbedingungen vorausgesetzt: Bissl mehr Geld, bissl mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten, bissl mehr Familie. Mit 80.000 von ihnen wäre uns grad schon gut gedient; das würde uns aber jährlich eine halbe Milliarde kosten. Und dieses Geld ist nicht da. Unser Verteidigungsministerium hat vor Kurzem das zweihundertfache geschluckt als Sondervermögen, was Kanzler Scholz lediglich ein Fingerschnipsen gekostet hatte, damals noch in seiner aktiven Zeit. Aber man hat ja Frau Lambrecht nicht in Ruhe mit ihrem Bub nach Sylt fliegen lassen; da wäre ihr vielleicht im Gosch bei Krebsfleischbaguette mit Weissweiss eingefallen, was man alles Schönes anstellen könnte mit dem Geld. Lasst doch die Frau in Ruhe. Im Nagelstudio habe sogar ich manchmal gute Ideen: Die Hälfte ins Gesundheitsministerium überweisen, zum Beispiel, siehe Rechnung oben: Und für die nächsten einhundert (in Zahlen: 100!) Jahre wäre unsere Pflege gesichert. Also könnte ich irgendwann bis 2122 auch dann mal in Rente gehen; und hätte im Heim vielleicht sogar noch jemanden in der Nähe, der mir im Ernstfall zeitnah die Inkontinenzhose wechselt; ein Luxus wäre das.
Aber das ist sicherlich, wie ich mich kenne, unglaublich naiv von mir: Nur eine hübsche Idee von einem alten Romantiker, der keine Ahnung hat, wie es tatsächlich abgeht in Berlin. Der Fachmann würde mir jetzt sicherlich milde lächelnd etwas von Haushaltsausschüssen erklären, von Etatverteilung und Gesetzestexten: Soviel Geld einfach mal hin und herschieben? Geht gar nicht.
Schade eigentlich. Also oberflächlich betrachtet.
Fabian Lau ist freier Autor, Krankenpfleger und Musiker. Er arbeitet also auch sehr viel, und steht dafür oft auch sehr früh auf; allerdings nicht in Berlin sondern in Malchen.
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