Bunte Götter – Golden Edition. Die Farben der Antike

Vinzenz Brinkmann und Ulrike Koch-Brinkmann Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung - Norbert Miguletz

Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt

Wenn der Archäologe Vinzenz Brinkmann die UV-Lampe einschaltet, wird es ungemein spannend. Denn das ultraviolette Licht enthüllt das einstige Aussehen antiker Skulpturen. Die aufgemalten Formen sind nun gut zu erkennen, die Farben mit bloßem Auge jedoch nicht, sie werden aber gemessen. Freilich kann nicht jeder Besucher des Frankfurter Liebieghauses die UV-Lampe benutzen. Deshalb hat Brinkmann, der Leiter der Antikensammlung, die Stadien der Bemalung an mehreren Modellen ausführlich dokumentiert.

Der Athlet in dem kleinen Relief etwa hatte im 4. Jahrhundert v. Chr. eine natürliche, braune Hautfarbe, sein dunkelbraunes Haar hielt ein rotes Band zusammen. Der Hintergrund war leicht rosa eingefärbt und mit Ornamenten auf zwei Seiten verziert. Die Kunst der Antike, von 800 vor bis 600 nach Christi Geburt dauernd, war folglich nicht nicht nur weiß, wie es lange hieß. Sie war so farbig, wie die Kunst davor und danach.
Daran forscht Brinkmann schon seit 40 Jahren, seit 30 Jahren fertigt er Rekonstruktionen an.
Drei Millionen Besucher sahen seine „Bunten Götter“, die seit 2003 durch die Welt tourten, von München bis Mexiko, von Frankfurt bis San Francisco. Aber die Forschung hat dank der digitalen Technik eine rasante Entwicklung gemacht – es gibt also viel Neues in der Schau „Bunte Götter – Golden Edition. Die Farben der Antike“.
Nun kann der Besucher vom alten Ägypten um 3000 v. Chr. bis ins 19. Jahrhundert verfolgen, wie intensiv farbig die Kunst schon immer war. Gleich zum Auftakt ist ein guter Vergleich möglich. Im ersten Raum steht, inmitten all der altägyptischen Kunst, die Grabfigur der Phrasiklei aus der Zeit um 540 v. Chr. Die Skulptur des jungen, unverheirateten Mädchens war mindestens 2000 Jahre vergraben und ist folglich gut erhalten. Bis zu elf Farben konnten nachgewiesen werden.
Denn Phrasikleias hellrotes Gewand ist reich verziert; ihren Kopf schmückt eine Krone aus Lotusblüten, auch in der Hand hält sie eine Lotusblüte, die Leben und Tod symbolisiert. Erst vor 50 Jahren wurde die Figur gefunden. Doch in Frankfurt ist nicht das Original zu sehen, sondern eine Kopie. Ein Scanner hat jeden Millimeter des Originals vermessen und in einen digitalen Druck übersetzt. Allein das kostete 20 000 Euro. Das können sich Brinkmann und seine Kollegen nur leisten, weil sie mehrfach für ihre Forschungen ausgezeichnet und gefördert wurden. Früher mussten sie mit einfacheren Methoden arbeiten, die nicht so genau waren.
Dabei war diese Kunst nicht fürs Museum gemacht, sie stand im Freien und musste auf die Entfernung wirken. Kräftige Farben waren wichtig, um aufzufallen. Die Farbe ergänzte die Form, erst dann war das Kunstwerk vollkommen. Gut sieht man das an dem farbenprächtigen Bogenschützen, der sich um 480 vor Christus im Giebel des Aphaia-Tempels auf Ägina befand. Interessant ist vor allem seine Hose mit Rautenmuster. Wer das Knie oder die Kniekehlen aufmerksam betrachtet, wird die gestauchten Rauten bemerken, so wie das bei einem echten Strumpf wäre. Der Maler beherrschte sein Handwerk.
All das wurde früh entdeckt, auch von dem im 18. Jahrhundert lebenden Archäologen Johann Joachim Winckelmann. Seine Worte von der „edlen Einfalt“ und „stillen Größe“ hat jeder schon mal gehört. Freilich wurde erst 2008 bei erneuter Lektüre seiner Bände bemerkt, dass er die farbigen Skulpturen nicht unterschlug, sondern sorgfältig registrierte. Es war wohl Johann Wolfgang von Goethe, der bei der Herausgabe von Winckelmanns Schriften den Akzent auf die blütenreinen Skulpturen legte – das ist typisch für die idealisierende Klassik.
Offensichtlich wurde bei den Griechen und Römern mit wachsendem Wohlstand auch viel mit Gold verziert, wie die Schau an neuen Forschungen belegt. Selbst im Hellenismus, der späten Phase der griechischen Antike, die um 30 vor Christus endete, war die farbig gefasste Skulptur noch gut vertreten. Erst in der Renaissance, vom 15. Jahrhundert nach Christus an, wurde sie in der weltlichen Kunst immer unpopulärer, während die Kirche sie nach wie vor einforderte. Man kann also Stunden in der Schau verbringen, um die 40 Originale und 60 Rekonstruktionen zu studieren und lernt dabei vor allem eins: Die alten Griechen und Römer liebten es genauso knallbunt wie die alten Ägypter. Und: Die weißen, kühlen Originale sind zwar antik, aber alles andere als authentisch.

Christian Huther

Bis 17. Januar 2021
Katalog 34,90 Euro
Tel: 069 60 50 98 200
www.liebieghaus.de

Experimentelle Farbrekonstruktion eines Kuros (Statue eines nackten jungen Mannes), Marmorstuck auf Gipsabguss, Naturpigmente in Eitempera, H. 153 cm, 2015, Liebieghaus Skulpturensammlung (Liebieghaus Polychromy Research Project), Frankfurt am Main, Inv. St.P 709                                                                    Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Original: Griechenland, Tenea, um 530 v.Chr., Marmor, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München, Inv. GL 168

 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*