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Etwa um diese Zeit vor zwei Jahren begannen auch die letzten, sich Gedanken zu machen; und allen war gemein: Niemand hatte eine Ahnung, was nun tatsächlich auf uns zu kommt. Ich war immerhin zu der Erkenntnis gelangt, dass es sich hier wohl auch um Thema für meine Kolumne handeln könnte und verschob meine damals aktuelle Idee in die Ideen-Schublade. Da lag sie bis heute und gerade habe ich sie weiter verschoben in den Ideen-Müll. Zwanzig Kolumnen lang hielt das Thema Covid 19; ich dachte, bestenfalls zwei würden entstehen, nach der zweiten: Na, vielleicht noch drei, vier; und jetzt ist Numero 21 dran. Es wird die letzte zu diesem Thema sein, dessen können Sie sich sicher sein, liebe Lesende; so sicher, wie wir uns der letzten fünf Abschiedstourneen von Roland Kaiser sicher sein konnten.
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Können Sie auch nur die ungefähre Zeit rekapitulieren, als Corona in den Abendnachrichten dann nicht mehr das Aufmacherthema war und auf Platz zwei und dann drei rutschte? Mir fiel nur irgendwann auf, dass meine Frau jetzt wieder bis zum Wetter sitzen blieb bei den Tagesthemen, und nicht gleich nach der aktuellen Landesinzidenz nach dem Handy griff, um auf der RKI-Seite nach den lokalen Zahlen zu schauen. Und erste Zusammenfassungen tauchen jetzt auf, die diese Zeit schon zur Vergangenheit zählen: Was hat das Virus mit uns gemacht? Wie hat es die Welt verändert, und uns? Was hat es sichtbar gemacht, was konnten wir lernen, was nehmen wir mit? Wie eine Art Abi-Zeitung der Weltgeschichte, ein Epilog der Pandemie. Auf politischer Ebene wird eine Ausstiegsstrategie diskutiert: Landesweit Lockerungen? Allgemeine Impfpflicht? Doch Durchseuchung? Britisches Vorbild? Schwedisches Vorbild? Freedomday und dann abwarten? Was halten die nächsten Varianten für uns bereit? Wie eine ständig drohende Wiederholung, ein täglich grüßendes Murmeltier, und eine Ermüdung macht sich breit. Was jeder Schreiberling vermeidet: Wiederholung und Ermüdung. Ich muss zu einem Ende kommen. Aber wie?
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Der laxe Umgang mit so vielen Worten in diesen zwei Jahren: man könnte zum Ende ein Glossar anhängen; man müsste es tun, für die, die allzu leichtfertig Begriffe nutzen, und kaum eine Ahnung dabei haben, wofür sie stehen in der Wirklichkeit, aus der sie stammen. „Verlegung eines Intensivpatienten“ würde mein Glossar erklären beispielsweise, allen, die sich darunter so etwas wie den Umzug des Ehebettes in die neue Wohnung vorstellen, minimal komplexer vielleicht, mit mehr Kabeln eben und, ach ja, mit einem Menschen darin. „Triage“ würde eine ganze Seite benötigen, um das Dilemma zu umschreiben, das dahinter steckt, nicht für den, der plaudert darüber, aber für die, die in die Situation kommen, am Bett auf Station: Das Gegenteil ziviler Medizin-Ethik. Es wäre umfangreich, so ein Glossar; was überhaupt eine Meinung ist, sollte denen erläutert sein, die deren Freiheit fordern für ihre Dumpf-Parolen und das Geschrei. Und nochmal: Der Unterschied zwischen Bauchgefühl und Faktum. Ich wiederhole mich, ja; höchste Zeit, zu einem Ende zu kommen.
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Ein schöner Satz noch aus meiner Ideen-Schublade, ich möchte ihn gerne gedruckt haben, dass er nicht auch im Ideen-Müll verschwindet; eine kurze Notiz, zu Beginn der Pandemie notiert, auf dem Heimweg vom Spätdienst: „Jetzt wird uns applaudiert, wie den Künstlern eines Orchesters am Ende der Vorstellung. Aber kaum einer hat das Konzert wirklich gehört.“
Epilog
Wir sind gewohnt, dass wir alles verstehen, wenn wir es wollen. Wir sind gewohnt, dass uns jemand erklären kann, was wir nicht verstehen. Wir sind gewohnt, jemanden zu verstehen, wenn wir wollen, dass er erklärt, was wir nicht verstehen. Wir wollen nicht, dass wir jemanden nicht verstehen, wenn er erklärt, was wir nicht verstehen, obwohl wir es wollen. Wir wollen nicht, dass uns jemand erklärt, was wir selbst verstehen wollen. Wir wollen nicht verstehen, was wir nicht wollen.
Fabian Lau ist Krankenpfleger, Musiker und freier Autor; er lebt in Malchen, wo es auch in den letzten Jahren immer wieder andere Themen gab.
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