
1 Stand 18.30 Uhr – steht in Klammern hinter jeder Zahl, ganz wichtig ist das. Denn wenn sich die Lage so rasant verändert, kommt es jetzt genau darauf an: Von wann reden wir? Stand gestern abend? Oder morgens noch? Schwierig dann, eine Kolumne zu schreiben mit 14 Tagen Vorlauf. Was wird bis zur Veröffentlichung noch alles passiert sein bei dieser Dynamik? Zuerst wurden Veranstaltungen mit über 1000 Leute verboten; betraf also Mario Barth und diese Liga. Zum Schluss sollten nicht mehr als Fünfe zusammen stehen, was also auch meine letzten Konzerte zum Karriereende vor zehn Jahren betroffen hätte. Gottseidank bin ich nicht mehr Kabarettist, sondern Krankenpfleger seitdem. Und schreibe Kolumnen; allerdings mit 14 Tagen Vorlauf. Also dann: Stand Mitte März.
2 Grad wollte ich nach Italien auswandern. Da singt man auf den Balkonen und den Pflegekräften wird applaudiert auf dem Weg zu Arbeit. Ist das nicht genau mein Land? Zack, Grenzen dicht. Dann die Schweiz; mein Lieblingsausland schon seit jeher. Freunde versuchen mich endgültig ins Land zu locken, schicken mir Fotos von ihren Hamsterkäufen: Die Weinkeller sind gut gefüllt mit besten Tropfen aus dem Wallis und Waadt. Wir hielten Monate durch in internationaler Quarantäne. Ich müsse nur einen virenfreien Zapfenheber (dtsch: Korkenzieher) mitbringen. Und meine Gitarre. Und meine Erfahrung an der Beatmungsmaschine. Grad hatte ich alles eingepackt: Zack, Grenzen dicht. Ich liebe dieses Virus nicht. Obwohl es auch gute Seiten hat: Es offenbart uns grad den größten Egoisten der Welt; jetzt müssen es doch alle gemerkt haben. Aber es schliesst eben auch Grenzen. Und ich darf mich meinen Lieben nicht nähern. Auch den nahen Lieben nicht, den Nachbarn, den Freunden. Nur meinen Patienten.
3 Ich habe Vertrauen in unsere Regierung. Nach italienischem Vorbild können wir mit bis zu 50 Millionen Infizierten rechnen. 20% davon werden intensivpflichtig sein, also 10 Millionen Menschen. Wir haben zur Zeit knapp 30 000 Intensivbetten. Ergibt ungefähr 333 Patienten pro Bett. Es wird also ein paar Diskussionen geben, wer oben liegen darf. Aber dass dringend Betten benötigt werden, ist bekannt; die Regierung hat 10 000 Beatmungsmaschinen bestellt. Die Frage, wer sie bedienen soll, ist auch schon gelöst. Die Personaluntergrenzen für Intensivstationen, gerade erst im Januar eingeführt, sind vor ein paar Tagen in einem Nebensatz ausser Kraft gesetzt worden. Ich darf also wieder ganz legal, wie vorher, vier oder fünf Beatmungspatienten gleichzeitig betreuen. Nicht ganz einfach allerdings. In zwei Jahren werde ich sechzig. In Italien werden zur Zeit Patienten über sechzig nicht mehr intubiert. Vielleicht machen wir in Deutschland ja eine Ausnahme bei denen, die sich mit Beatmungsmaschinen auskennen. Dann hätte ich Glück und dürfte vielleicht sogar oben liegen.
4 Ausnahmen werden bereits seit Wochen gemacht: Lehrer bleiben zu Hause wegen eines Verdachtsfalls im Kollegium; Schulen und Kitas werden geschlossen. Pflegekräfte arbeiten natürlich weiter – trotz eines Verdachtsfalls auf Station. Verständlich: Ganz schlechter Zeitpunkt, Betten und Stationen zu schliessen. Ältere Menschen müssen besonders geschützt werden – Pflegekräfte im Ruhestand werden mobilisiert. Ach so: Ich bin jetzt nicht mehr Pfleger. Ich bin jetzt „Kämpfer an vorderster Front“ laut Medien; ein „systemkritischer Beruf“. Was zu meinen Kabarettzeiten auch eine ganz andere Bedeutung hatte.
5 Die Kanzlerin sagt, man solle Solidarität mit seinen Mitmenschen zeigen und Abstand halten. Ich mag Frau Merkel wirklich gerne, werde mich aber bei meinen Patienten eventuell nicht an ihren Rat halten. Hoffentlich sind nicht wieder unsere Schutzmasken geklaut worden. Die auf Ebay kann ich mir bei meinem Gehalt nicht leisten. Fortsetzung folgt. Fürchte ich.

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