
43 Deutschland ruckelt. Ich will hier weiterhin die guten Veränderungen im Fokus halten; die schlechten Nachrichten sind bei Professor Wieler und Doktor Lauterbach weiter in besten Händen. Und dass Deutschland ruckelt, gehört zu den guten. Wir haben seit Beginn der Pandemie kaum ein größeres Problem, als dass wir nicht wie üblich, wo wir gehen und stehen, Speisen und Getränke zu uns nehmen können. Bei uns in Darmstadt zum Beispiel war letztes Jahr der abendliche Beifall für die Pflegekräfte alsbald übertönt vom durchdringenden Lamento, als das Heinerfest abgesagt werden musste: Keine Chance im letzten Sommer, in der City flächendeckend die Leber mal wieder richtig durchzutrainieren und unsere Cholesterinwerte zu neuen Standards hochzujazzen. Wir fügten uns tapfer dem Schicksal und flogen zum Trost gleich nach den ersten Lockerungen in Länder, wo es den Menschen noch schlechter ergangen war. Es ruckelt, gewaltig und überall, und jeder muss sich neu justieren. Auch ich habe gestaunt, wie unflexibel im Geist ich unbemerkt geworden bin und musste mir schmerzlich abgewöhnen, immer und möglichst alles und möglichst bald und fundiert verstehen zu wollen; war bislang allerdings nicht umfassend erfolgreich damit.
44 Ich habe im neuen Jahr gleich früh um Fünfe wieder angefangen zu arbeiten. Im Vergleich zu den letzten Jahren war es auf dem Weg zur Klinik schon wieder sauber auf allen Wegen, und sehr, sehr ruhig. Nur wenige Verlorene, die vom vergangenen Jahr noch unterwegs waren, und wohl die Ernüchterung eines jeden Erstenersten auf den späten Nachmittag zu verschieben gedachten. Und nur erfreulich wenige der Kollegen von der Stadtreinigung waren unterwegs, um auch ihre gute Arbeit zu verrichten. Die Recherche ergab: Dreissig von ihnen konnten dieses Jahr länger liegen bleiben und mal schön ausschlafen an Neujahr! Ich hoffe, sie sind nicht aus lauter Dankbarkeit dem Virus gegenüber zu Maskengegnern und Impfvermeidern geworden.
45 Das Corona-Virus hat uns geholfen, das Klimaziel zu erreichen, nein: Noch zu übertreffen. Auf uns alleine gestellt, konnten wir unsere Treibhausgase mit vielen Mühen gerade mal um ein Drittel reduzieren, und das in knapp dreissig Jahren. Die restlichen zwei Drittel haben wir dann ganz nebenbei im letzten Jahr geschafft, nein, nicht wir: Das Virus. Hat sich dafür aber auch im Netz einen wesentlich größeren Shitstorm eingehandelt, als Greta Thunberg und der Wendler zusammen.
46 Das Corona-Virus hat sich auf die Bremse gestellt. Was Yoga, Slowfood und ganze Supermarktregale voller Nimm-dir-mehr-Zeit-für-dich-Tee auch in Jahrzehnten nicht geschafft haben, hat uns das Virus in ein paar Monaten beigebogen. Ein bisschen brutal vielleicht, mit einer Art Chill-Zwang – aber effektiv.
47 Der Streit zwischen Impfstoffhersteller AstraZeneca und der Europäischen Union hat mich inspiriert: Fast wochenlang wurde diskutiert, was genau in den Verträgen formuliert war. Bis man auf die Lösung kam: Einfach mal nachschauen. Da stand dann etwas von einem „Bemühen“, zwischen den flugs geschwärzten Zeilen war noch zu lesen: Man würde sich bemühen, die bestellten Lieferungen im ausgemachten Umfang auch zu liefern. Als alternder Poet liebe ich uneindeutige Idiome, das Ungefähre, die Freiheit zur eigenen Interpretation, und war dann enttäuscht, weil die Zahlung der EU-Kommission langweilig ganz konkret beziffert war: 336 Mios. hatten die Astras eingesackt dafür, vorab. Vielleicht lässt sich mein Arbeitsvertrag in Zukunft auch ein bisschen poetischer modifizieren, dass etwa meine Arbeitszeiten etwas freier interpretierbar werden für mich; vielleicht lässt sich ebenso ins Ungefähre umschreiben, was im Dienst eventuell zu tun ist von mir am Patienten und dass ich mich jedenfalls „bemühen“ werde. Was mir sonst nicht passt, wird geschwärzt; und nur, was mein Gehalt angeht, bleiben wir konkret bis hinters Komma. Das wäre doch was.
48 Mein Berufswunsch fürs nächste Leben steht jetzt auch schon fest: Fussballfunktionär. Dummheit muss nicht weh tun. Der Weg dorthin vielleicht; bis der angeborene Rest-IQ, etwa durch Kopfbälle, auf unterhalb der Schuhgröße zusammengestaucht ist, wie offensichtlich bei Herrn Rummenigge: Das stelle ich mir schmerzhaft vor. Dann aber sich selbst für schlau und den Rest der Welt für noch dümmer zu halten: Das muss das Paradies sein.
49 Eins nur ist doch traurig: Die Aluhelme schwächeln schon wieder, und ich muss mir die nächste lustige Verschwörungstheorie selber bauen: Nicht die Herstellung und die Auslieferung des Impfstoffes sind die eigentlichen Probleme: Bill Gates kommt grad mit der Chipherstellung nicht nach.
Fabian Lau ist Krankenpfleger, freier Autor und Musiker und inzwischen geimpft. Aber nicht gechipt. Er lebt in Malchen.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar