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Ich habe seit Kindertagen eine liebevolle Beziehung zu meinen Träumen; ich träume immer noch schrill, konzeptlos und übercoloriert; Szenen, in denen Strassenzüge auch mal zu Melodien werden und Menschen zu alleinstehenden Nebensätzen. In anderen Nächten träume ich photorealistisch, Wiederholungen meiner alltäglichen Abenteuer, nur die Kamera steht dann im anderen Winkel und hin und wieder wurde auch neu besetzt für diese Nacht (Meine Tagträume bleiben mein Geheimnis). Auch meine Alpträume brauche ich und liebe sie deshalb, in spezieller Art zwar und nur vorausgesetzt, dass ich im Aufwachen ihre Auflösung erlebe, der kleine Nachtschreck und dann die Erleichterung: Alles nur ein Traum. Jetzt hat mir Corona einen Nachtmahr geschenkt, der bislang nur Bankräubern gegönnt war: Ich stehe vor dem Schalter und merke, dass ich meine Maske vergessen habe.
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Zunächst hatte das Virus soziale Unterschiede nach meinem Empfinden etwas allzu deutlich mikroskopiert: Hier der eine, der die Maske massgeschneidert von Lacoste mit einer Anmut trägt, deren Humus bislang die echte Rolex war oder ein iPhone alleraktuellster Generation; dort aber derjenige, der mit Muttis umgenähter BH-Hälfte überm Gesicht im ALDI aufs Toilettenpapier lauern musste. Das ist gottseidank vorbei. Unter der FFP2-Maske sind alle gleich; und der Certifizierungscode bleibt bedeutungslos wie eine Abi-Note.
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Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass ich einem so frauenfeindlichen, homophoben und dazu korrupten Männermoloch doch einmal öfter meine Aufmerksamkeit widmen würde. Wohl weil sie im Gegensatz zum Klerus ganz drollig daherkommen, die Buben: Wenn es mir gelingt, wie auch immer, meine Wahrnehmung auf Hansi-Flick-Niveau runterzudimmen, ist es doch ganz hübsch anzuschauen, wie sie zusammen über den Rasen tollen, schwitzen und spucken und dann miteinander tanzen, weil einer von ihnen den Ball sehr gut mit den Füssen gekickt und dann sogar in dieses Netz am Feldrand platziert hat; hattu fein gemacht. Coronamüde dann doch auch mal eine willkommene Ablenkung: Auf dem Fussballfeld gibt es das Virus nicht. Und den Schwestern und Vätern, den Frauen und den Kindern, die mit einer Familienpackung Tempotaschentücher zuhause am Telefon warten, auf eine Nachricht von der Oma, vom Bruder oder der Mama, die sie nicht besuchen dürfen im Altenheim oder auf der Intensivstation, den möchte der Zyniker schulterzuckend zuraunen: Wärt ihr besser mal Fussballstars geworden.
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Auch eine sorgfältig gehütete Liebe aus meiner Kindheit: Meine tiefe, echte Verehrung, die ich für die Bürgerinnen und Bürger von Schilda pflege. Diese wohldurchdachte Idee, Klugheit bis zur befreienden Narrheit zu steigern, hab ich mir – jetzt kann ich es ja zugeben – allein von ihnen abgeschaut: Der Start in meine professionellen Jahre als Kabarettist und Satiriker. Der Grundgedanke der Bürokratie war sicherlich ein kluger; die aktuellen Auswüchse bieten leider keine Gelegenheit zum Amüsement, da viele sie derzeit schlicht mit dem Leben bezahlen; oder auch mit einer sehr lang andauernden Inanspruchnahme einer Beatmungsmaschine. Ich trage dennoch meinen Bezugsschein für FFP2-Masken, fälschungssicher wie ein 1000-Euro-Schein von der Bundesdruckerei gestaltet, mit Stolz wie ein Dokument zur Ehrenbürgerschaft der Stadt Schilda. Danke schön.
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Ein Hinweis noch an die Berichterstattung: Wenn wir gestern 1000 Tote hatten, und heute 800, sind das nicht 200 Tote weniger. Es sind 800 Tote mehr.
Fabian Lau ist Krankenpfleger, freier Autor und Musiker. Er lebt – nein, leider immer noch nicht in Schilda, aber fast genauso gerne – in Malchen.
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