DIE CORONA-CHRONIKEN #12

Einer gegen Palaver; er schweigt, bis er was zu sagen hat: Fabian Lau.

55 „Es ist nur eine Übung“, sagt meine Frau beim Abendessen, und mir wird etwas schwindelig: „Wie, bitte?“ – „Diese angebliche Pandemie ist nur eine Übung, wie beim Katastrophenschutz, nur eben landesweit“, wiederholt sie, und sie muss es ja wissen, denn meine Frau ist die Bundeskanzlerin. „Viren-Wieler hatte mir gemailt, irgendwann stünde so etwas an, eine Pandemie, landesweit, wenn nicht gar weltweit. Und gut wäre, wenn die Nation dann vorbereitet wäre. Hubi meinte aber gleich, wir sollten so tun, als sei es ernst; wenn jeder wüsste, dass es sich nur um eine Übung handelt, würde keiner richtig mitziehen und alle nur blau machen. Und Spähnchen war sofort begeistert wie ein Achtjähriger, der in der Spielgruppe merkt, dass Monopoly viel mehr Spass macht, wenn man es nicht alleine spielt; dann allerdings auch anstrengender ist, weil man dann nicht mehr jedesmal haushoch gewinnt.“ Sie schenkt uns Wein nach und nimmt sich noch etwas Soße. „Als ich das dann beenden wollte nach ein, zwei Monaten, abends in einer Live-BPK, lagen mir die Tage vorher schon alle in den Ohren: Ich sei eine Spielverderberin, es würde doch grad so gut laufen. Söder schrieb eine WhatsApp, ich solle nicht so egoistisch sein und auch mal an meine Nachfolge denken; nicht dass er da an sich denken würde, aber langsam müsste man irgendjemanden positionieren; Laschet maulte: Jetzt, wo die Leute merken, dass es ihn überhaupt gibt, wollte ich abbrechen, ich sei wohl nur neidisch; und Karl Lauterbach tippte im Plenum ständig auf seinen Handys herum und raunzte, er bekäme jeden Tag über 1000 Follower dazu, und ich könnte ihm doch jetzt nicht einfach den Hahn abdrehen.“ Sie schiebt den Teller beiseite, tupft sich die Mundwinkel mit der Serviette und seufzt: „Da habe ich weiter mitgespielt; und jetzt ist es endgültig aus dem Ruder gelaufen.“ Ich weiss nicht, woran es diesmal lag, dass ich wieder so schwer träumte, wieder so erschreckend photorealistisch, dass ich im Traum sogar hoffte, noch vor dem Dessert aufzuwachen. Es gelang mir nicht. Schweigend stocherten wir im Schokopudding, die Bundeskanzlerin und ich, nicht wirklich mit Appetit, räumten dann gemeinsam den Tisch ab und gingen ins Bad. Im Bett küsste ich sie zur Guten Nacht auf die Wange und hauchte in ihr Ohr: „Ich freue mich auf September.“ Dann schliefen wir ein und ich wachte auf.

56 Nur eine Übung – wäre das ein Traum? Sicherlich für die Toten und die Intubierten auf den Intensivstationen. Sie könnten aufstehen und sich abschminken, ihre Privatklamotten anziehen, das Komparsenhonorar abholen und sich dann erleichtert auf den Weg nach Hause machen, zurück zu den Lieben. Und mancher würde sicherlich auch auf das Geld verzichten, wenn er nur endlich wieder nach Hause dürfte. Zurück zu den Lieben.

57 Nein, keine Übung. Und trotzdem üben wir. Wir üben uns in gegenseitigem Vertrauen; wir üben uns in Geduld und Zuversicht. Und täglich bekommen wir mehr Übung darin, zu scheitern, die eigenen Illusionen zu entlarven und zu akzeptieren, dass auch ein kleines Virus den Menschen nicht weniger menschlich macht, dass wir korrupt bleiben und habgierig, dass Betrug und Egoismus nicht aus der Welt zu schaffen sind. Jedenfalls nicht so schnell. Ich bleibe zuversichtlich; ich bleibe geduldig und vertrauensvoll. Oder genauer: Ich übe mich weiter darin.

58 Von dem traurigsten, und dabei schwierigsten Job derzeit und hierzulande spricht niemand; Portraits und Dokumentationen über Krankenschwestern, Ärztinnen, Ärzten und Pflegern fluten die Kanäle, nur einen beachtet keiner: Den Applauseinspieler bei den Samstagsabendshows im Fernsehen; noch nicht mal eine richtige Berufsbezeichnung gibt es für ihn, der jetzt doch wieder so wichtig ist für die Sendungen ohne Publikum, oder wie es in Fachkreisen heisst: ohne das Klatschvieh. Jahrelang hast du davon geträumt, was beim Fernsehen zu machen, egal was, Hauptsache, irgendwo in diesem geheimnisvollen Universum zwischen Wirklichkeit und Illusion deinen Platz zu finden, mitzuwirken. Du hast Kabel geschleppt und palettenweise Weinkisten in die Garderoben der C-Prominenz; du hast backstage Dieter Bohlen bestätigt, wie toll er immer noch aussieht und Gottschalks Altherrenwitze ertragen. Du hast dich hochgearbeitet bis in den Regieraum und da sitzt du jetzt alleine in der Ecke vor dem kleinen Schaltpult mit den fünf Knöpfen: Verhaltener Applaus, Riesenapplaus, verhaltene Lacher, Riesenlacher; und du hast keine Ahnung, wann du den fünften drücken könntest, den goldenen Königsknopf „Riesenapplaus mit Riesenlacher“. Und während unten im Scheinwerferlicht des Studios Guido Cantz bestens gelaunt den nächsten Wortwitz versucht, bricht dir der Schweiss aus, denn du merkst: Du bist ganz alleine auf dich gestellt.

 

Fabian Lau ist Krankenpfleger, freier Autor und Musiker. Er lebt und träumt in Malchen; dort übt er auch, zur Zeit ganz ohne Applaus.

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