DIE CORONA-CHRONIKEN #17

Einer gegen Palaver; er schweigt, bis er was zu sagen hat: Fabian Lau.

75

Corona-Zahlenspiele; oder die Aufweichung des Expertentums. Ich habe grundsätzlich ein entspanntes Verhältnis zu Zahlen; ich liebe sie nicht, mit der Sieben bin ich per Du, aber bei allen anderen, und das sind ja die meisten, liegt mein Begeisterungsspegel irgendwo zwischen dem für Seltene Erden und Frisurentrends 2022. Warum sollte ich mich also mit immer filigraner auftabellierte Inzidenzien beschäftigen, statt das jenen zu überlassen, die das ad 1) gerne tun, ad 2) fundiert gelernt haben und ad 3) Geld dafür bekommen? Sie werden mir schon erzählen, zu welchen Schlüssen sie kommen und ich auch kommen sollte. Und dann höre ich entweder auf sie,  ziehe also die Maske wieder über die Nase und lasse mich impfen, wie ich auch auf andere von mir erwählte Experten höre, wie auf meine Anwälte, auf diverse Chefärzte oder Jazzgitarristen und zu allererst auf meine Frau; oder ich geselle mich dann doch zu denen – meine Entscheidung -, die mir einen Sitzplatz im grossen Ufo versprechen, dass uns Auserwählte dann abholen wird: In eine bessere Welt, wo jeder schon Experte sich nennen darf, der versteht, die Google-Suchmaske zu öffnen. Und darin versteht sich ja derzeit jede, jeder und jedes. Was ist demnach eigentlich so schwer daran, die 500.000 Expertinnen und Experten für die Pflege zu generieren, die demnächst fehlen werden? Wird ein Leichtes sein für alle, die so souverän und ungeübt gerade mit Statistiken, Studien und Prozentrechnungen jonglieren. Für einen Intensivpatienten muss ich nur an die 20 bis 30 Zahlen im Auge behalten, – Laborwerte, Druckeinstellungen, Vitalparameter -, um flott zu erkennen, wenn etwas in die falsche Richtung geht und dann die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Und bin dann abends doch zu bedient, um für mich noch den richtigen Schluss zu ziehen, wenn ich lese, dass in der Gruppe der 59- bis Übersechzigjährigen, deren Vorerkrankungen in alphabetischer Reihenfolge durch zwei teilbar sind, aber mit sich selbst potenziert keine Primzahl ergeben, alle Drittgeimpften, oder auch diejenigen, deren ersten Impfung in einen Monat ohne R fiel, oder alternativ das Datum der zweiten subtrahiert von der Länge der Injektionsnadel einen Wert grösser Null ergibt, bei einem Impfdurchbruch mit einem sehr schweren oder mit einem nicht so schweren oder gar keinem Verlauf zu rechnen haben. Wenn du eine Lungenentzündung hast, nennt dir dein Arzt ein paar Zahlen, darunter die Blutwerte, die Dosis des Antibiotikums und den Einnahmezeitraum. Du nimmst das Zeug über die Tage und gut ist es. Geht doch, reicht doch.

76

Ganz kurz zwischendurch: Ich habe tatsächlich zur Zahl Sieben, aber das ist auch wirklich die einzige, ein emotionales Verhältnis; und keine Ahnung wie das entstand. Da stand sie vor mir, Ende der Sechziger war das, in meiner Rechenfibel, zackig-preusisch irgendwie, dabei aber doch lässig und ansprechend in ihrer gradlinigen, schlichten Eleganz; charakterstark wirkte sie gleich auf mich, ohne allzu großmäulig daher zu kommen. Seitdem ist sie Teil meiner DNA. Ich habe tatsächlich das Gefühl, die Sieben ist nur für mich geschaffen worden. Alle anderen Zahlen könnt ihr unter euch aufteilen, Danke schön. Seitdem liebe ich alles, was mit Käse überbacken, mit Marzipan gefüllt oder durch sieben teilbar ist. Ach so: Einige Menschen gibt es, die liebe ich, auch wenn nichts davon auf sie zutrifft.

77

Grundsätzlich ist es ehrbar und löblich, wenn einer Gutes tut, und was er ankündigt hat zu tun. Reduziert sich der Dissenz auf die Frage: Ist es was Gutes, sich als Promi-Schauspieler auf einer Intensivstation zu begeben, nicht liegend und relativ gesund, jedenfalls eigenständig atmend, wenn auch nicht denkend? Dass nur Salbader dabei herauskommt, war abzusehen. Und so bekräftigte Hilfspfleger Jan Josef am Ende seiner Schicht, was wir Pflegekräfte seit Jahren eigentlich nicht sehr vehement zu verheimlichen versuchten: Die Arbeit auf einer Intensivstation ist sehr, sehr anstrengend. Ich bin mir fast sicher: Noch anstrengender ist es, wenn einem bei der Arbeit Jan Josef Liefers vor den Füssen herumtanzt. Ich habe schon oft genug eine Schülerin im Wege stehen, die versucht, die Geheimnisse der Krankenpflege zu ergründen; aber das ist die Zukunft, beruhige ich mich dann: Morgen wird sie an meinem Bett stehen, wenn mich dieser oder jener Schlag getroffen hat oder die Demenz mich umnachtet; sie wird mir den Brei reichen und den Mund abputzen; und sie wird mir zum Abend den Fernseher anstellen, dass ich den neuesten Tatort nicht verpasse. Lieber Herr Liefers, Danke für Ihr Gastspiel bei uns, und das Foto ist ja auch sehr schön geworden. Und jetzt bitte spielen sie weiter diesen Gerichtsmediziner. Damit ich sie wieder lieben kann.

 

Fabian Lau ist Krankenpfleger, freier Autor und Musiker. Er lebt in Malchen, wo es auch durchaus gute UFO-Landeplätze gibt.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*