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Und so geht das Coronajahr Nummero Zwei zu Ende: Aus irgendeinem unerfindlichen Grund stellen wir uns inzwischen dämlicher an, als in der ersten paar Monaten der Pandemie. Obwohl wir doch jetzt schon alle Profi-Virologen sind. Aber natürlich ist keiner Schuld, ausser wieder die anderen. Vier zu Null sagt man dazu im Fussball; aber niemand will die Null sein, niemand will es gewesen sein. Wer hat behauptet, die Pandemie sei vorbei – oder zumindest sehr bald? Impfzentren zu, Clubs wieder auf und alle: Tanzen! Da hatte wohl jemand was verwechselt: Die „pandemische Lage nationaler Tragweite“ lief November aus; die Pandemie selbst aber nicht, hoppala. Das Virus hat den Termin mal wieder verschlafen. Aber inzwischen kennen wir es doch schon ein bisschen und müssten wissen, dass es sich nicht sehr zuverlässig an unsere Beschlüsse und Terminvorgaben hält. Und eigentlich war doch schon klar: Wir müssen jetzt ganz schnell reagieren. Was nur leider etwas länger dauerte. Allein von der Erkenntnis, dass man jetzt reagieren sollte, zu der Erkenntnis, dass man jetzt reagieren müsste, brauchten viele genau so lang, wie vom ersten Glatteis bis zum Wechsel auf Winterreifen. Dann blieb zwei weitere Monate unklar, wer genau jetzt eigentlich reagieren sollte: Die alte Regierung, die man vorsichtshalber in „geschäftsführende Regierung“ umbenannte, damit die Schuldfrage auch gleich geklärt wäre? Die wollte aber lieber Opposition üben, weil die ja niemals Schuld ist; und so war man bei allem immer erstmal einfach dagegen, weil es für eine erfolgreiche Opposition grundsätzlich keine Rolle spielt, gegen was. Die neue Regierung wusste dafür noch nicht so genau, wie das geht: Regieren. Weshalb sie jetzt auf Anhieb auch noch nicht so gut reagieren konnte, und schon gar nicht schnell. Als dann allen klar war, wie es laufen könnte und auch zwischen Bund und Ländern die Claims abgesteckt waren und alle mehr oder weniger wussten, was jetzt zu tun ist, wurde gemeinsam beschieden, dass man sich jetzt also in zwei Wochen zusammen setzt, um dann aber wirklich ganz schnell zu reagieren.
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Der Vergleich mit dem Hasen und dem Igel tauchte auf; mit der unangenehmer Erinnerung, dass bei den Gebrüdern Grimm der Hase am Ende stirbt. Und dem irritierenden Wissen, dass es im Märchen also nur einen Toten gab dabei. Und nicht fünf Millionen.
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In der Diskussion, dass das letzte verfügbare Beatmungsgerät ja wohl einem Geimpften zustünde, nicht einem Ungeimpften jedenfalls, trat auch der Begriff „Triage“ wieder zu Tage; ein Begriff aus dem Kriegsvokabular, der konträr zur zivilmedizinischem Ethik steht. In einer Triagesituation also auf etwas ethisch Stabiles zu hoffen, ist in etwa so, wie im Steakhouse vegan zu bestellen und dann Sterneniveau zu erwarten. Tatsache ist, wenn der Geimpfte bei der medizinischen Versorgung im Entscheidungsfall dem Ungeimpften vorgezogen würde, müsste man dem Raucher auch die Chemotherapie seines Lungenkarzinoms verweigern; und der Trinker müsste seine Lebertransplantation vom Flaschenpfand bezahlen. Bei jedem Verkehrsopfer müsste zudem zunächst genau die etwaige Teilschuld geklärt werden, bevor man die OP-Crew zusammentrommelt. Das wollen wir nicht. Da sind wir uns wieder einig, ob nun ungeimpft oder geimpft: Das wollen wir alle nicht. Guten Rutsch zusammen.
Fabian Lau ist Krankenpfleger, Musiker und freier Autor. Er lebt in Malchen, wo sich Hase und Igel „Gute Nacht“ sagen.
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