DIE CORONA-CHRONIKEN #8

Foto: Jörg Krämer / Seeheim-Jugenheim

35 Chance verpasst. Donald Trump hatte versprochen, zwei Tage nach seiner Wiederwahl die Pandemie für beendet zu erklären. Wäre das ein Fest geworden, nicht auszumalen: Ein Tweet vom mächtigsten Mann der Welt, und gut is’. Konfettiparade in New York, nur dass diesmal OP-Masken auf die Wallstreet niedersegeln und ungenutzte Desinfektionstücher. Und schon verbreitet sich die frohe Botschaft auf der ganzen Welt: Überall reissen die Intensivstationen ihre Fenster auf, Patienten ziehen sich die Schläuche aus dem Hals und überlassen die Geräte wieder den Autolackierern und Kettenrauchern. Drosten, Streeck und Wieler bitten Attila Hildmann und den Wendler um Vergebung; Biontech und Pfizer melden Insolvenz an; die AfD widmet sich wieder ihren eigenen Themen und die Grünen fragen: Wo ist eigentlich Greta geblieben? Schöne alte Welt. Aber nix da: Chance verpasst. Stattdessen bleibt der Herbst sonnig-grau, die Innenstädte leergefegt, und Joe Biden fängt schon mal an und bildet die dringend benötigte Expertenkommission. Auch überzeugend irgendwie, auch gut irgendwie. Ach, nein: Besser sogar.

36 Von den vielen lustigen Ideen unserer Politiker ist diese hier von Peter Altmeier meine allerliebste: Man könnte doch die Schüler in den geschlossenen Gaststätten unterrichten, es gäbe Platz genug und unsere Kinder wären in Sicherheit. Ich musste noch ganz alleine über diese große, gefährliche Kreuzung am LGG, um mich in der Großen Pause, wie bei uns Althumanisten üblich damals, im Grohe zu entspannen. Zurück zum Unterricht war es dann immer noch ein bisschen schwieriger. Aber mit Altmeiers Modell hätte sogar ich ein Einser-Abi gebaut. Hat sich leider nicht durchgesetzt, wie schade. Auf Rang zwei, fast genauso großartig, die Idee von Jens Spahn: Pflegekräfte könnten doch auch bei positivem Testergebnis weiter arbeiten. So hätte man eigentlich in der Pflege komplett auf Tests verzichten können und damit wäre definitiv kein Engpass bei Fussballern und Spanienurlaubern zu befürchten. Husten, Fieber, Kopfweh, Schwester? Egal. Einfach weiter arbeiten, bis Du umfällst. Also wie bisher. Hat sich auch nicht durchgesetzt. Schade eigentlich. Oder nein: Besser so.

37 Ihr liebt also eure Kinder. Ihr liebt sie so sehr, dass ihr Sorge habt, sie könnten durch die Masken Schaden nehmen. Aber ihr nehmt sie mit, eure geliebten Kinder nehmt ihr mit auf Demos. Ihr setzt sie aus: der Nähe zum rechten Pack und der Gefahr von Eskalation und Gewalt. Ich traue eurer Liebe nicht.

38 Seit fast drei Jahrzehnten feile ich an Formulierungen, bleibe informiert, denke viel nach und versuche auch mal mit einer wohlgesetzter Pointe hier und da ein Herz und ein Hirn zu erreichen. Und jetzt sehe ich, dass man mit schlecht recherchiertem Geschwurbel, rhetorisch insuffizient in eine Handykamera salbadert – und noch dazu ganz unlustig – viel weiter kommen kann. Sind Ihnen nicht auch schon diese ständig roten Fußgängerampeln aufgefallen, überall? Ist das nicht eine ganz massive Beschneidung unseres Grundrechts auf Bewegungsfreiheit? Und nur wegen der paar Verkehrstoten? Zumal wissenschaftlich nicht belegt ist, ob sie wirklich wegen der roten Ampel ursächlich zu Tode kamen oder diese nur zufällig in der Nähe stand. Und ob nicht doch ganz andere Faktoren die letale Rolle spielten, das übliche eben: Alkohol oder eine schöne Frau vielleicht. Und was ist mit unseren Kindern? Unter dem Deckmäntelchen „Verkehrserziehung“ zwingt man sie zum permanenten Bewegungsmangel; die Langzeitfolgen sind absehbar: Fettleibigkeit, Diabetes und Herzinfarkt. Und wieviele -zigtausend Ampeln gibt es? Sind Sie auch nur einmal, ist irgendeiner von uns auch nur bei einer einzigen Ampel nach seinem Einverständnis gefragt worden? Und das soll also Demokratie sein? Und überhaupt: Was ist mit der Farbgebung? Rot für „Stehen“, grün für „Gehen“? Ich bin grad selbst noch unschlüssig, wie ich das interpretieren soll: Ob Habeck und Baerbock dahinter stecken, oder doch wieder Putin. Ich werde mal weiter in die Richtung nachdenken; oder, damit es schicker klingt: „Querdenken.“ Genaueres dann demnächst auf YouTube und Instagram.

39 Als alter Liebhaber unserer Sprache, der schönen, alten Dame Deutsch, kann ich den so genannten „Querdenkern“ nicht verzeihen, dieses einstmals so wunderbare Wort für lange Zeit verdorben zu haben. Konnotierte es bislang die etwas andere Richtung, nicht die plumpe Gegenströmung, sondern den feinen, fast tänzerisch filigranen Richtungswechsel, nur ein bisschen quer eben, weg vom Mainstream, ohne aber die Betonung des Denkens zu verspielen, steht es jetzt für das genaue Gegenteil: Tumb hören sich ihre Erkenntnisse an, unbeweglich und unbedacht. Und es ist mir nur ein schwacher Trost, dass sie, tumb und unfreiwillig aber, ein anderes schönes, lautmalerisch treffendes Wort wieder zu unserem Sprachschatz reaktivierten: Geschwurbel. Trotzdem Danke.

Fabian Lau ist Krankenpfleger, freier Autor und Musiker. Er lebt in Malchen, dem wahrscheinlich einzigen Ort der Welt ohne Fußgängerampel.

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