DIE CORONA-CHRONIKEN #9

Meister der Fabulierkunst und kongenialer Jazz-Gitarrist: Fabian Lau

Das Corona-Zeitalter geht ins zweite Jahr. Wir konnten schon einige Erfahrungen sammeln und nicht alle verwerten; wir haben Fehler gemacht. Und wir haben gelernt, zu verzeihen. Ein guter Moment, auch schon mal andere guten Auswirkungen der Veränderungen genauer zu betrachten. Vor allem: Welche davon wären es wert, beibehalten zu werden, auch wenn sie in entspannteren Tagen epidemiologisch gar nicht mehr notwendig wären?

40 Diese kurze Pause am Satzende, geschuldet der Übertragungsverzögerung bei Videokonferenzen und Onlinesitzungen. Ich möchte sie kultiviert wissen, auch für die Gespräche, bei dem wir uns wieder gegenüberstehen: Ausreden lassen, jeden Satz zu Ende hören und sogar darüber hinaus; das Gehörte dabei wirken lassen oder das selbst Gesagte überdenken, einen Atemzug lang oder zwei; dabei die Möglichkeit einer Korrektur geben oder haben, bevor das Salbadern wieder seine Chance ergreift. Das ist chic. Das ist charmant. Es signalisiert Achtung und lässt sicher eine Unzahl an Missverständnissen und Redundanzen vermeiden. Also Zeit sparen, Zeit, in der wir uns dann vielleicht wieder, und diesmal länger, umarmen können. Fein wäre das doch.

41 Dieser sympathische Zettel an den Aufzügen in Hoch- und Warenhäusern: „Jeweils nur zwei Personen!“ Einfach mal weiterhin hängen lassen, auch nach der angestrebten Durchseuchung und Herdenimmunität, in memoriam derer, die nicht überm Badezimmerspiegel stehen haben: In dubio pro Deo.

42 Dieser doch hier und dort behände Wille zur Reflexion betreffs der eigenen Wichtigkeit im Weltgeschehen. „Wir stehen da weiter hinten und das ist vollkommen richtig“, bekräftigt Heiko Herrlich, ein Fussballtrainer, laut Darmstädter Echo vom 2. Januar, und er meint damit die Reihenfolge auf der Impfliste. Eine liebenswürdig formulierte Erkenntnis in der umfassenden Diskussion, was nun wirklich systemrelevant ist, Aldi und Rewe, Intensivstation oder Mollerhaus: Menschen, die einen Ball in Richtung eines gerahmten Netzes schiessen, offenbar nicht. Selbst wenn sie das sehr gut tun und unterhaltsam und somit berechtigt viel Geld verdienen damit. Heiko Herrlich merke ich mir. Er ist wohl einer, der in seiner Fussballerkarriere nur relativ selten von Kopfbällen gezeichnet wurde.

Und kurz ganz persönlich, meine ganz persönliche gute Veränderung, auch wenn sie nicht unmittelbar mit Corona zu tun hatte: Ich habe knapp zwanzig Kilo abgenommen letztes Jahr. Viele hatten zu kämpfen mit der Lockdown-Wampe, ich habe abgenommen. Ich könnte sicher viel Geld verdienen mit meiner selbsterfundenen Superdiät, bei der es im Übrigen keinerlei Jo-Jo-Effekt gibt; aber ich will mal nicht so sein, hier ganz kostenlos: Mein Geheimrezept. Es lautet: Weniger essen. Zucker weg, Fett weg, das auch, aber vor allem: Portionen reduzieren, halbieren mindestens. Dabei morgens und abends auf die Waage, und abends muss auf der Anzeige eben möglichst ein bisschen weniger stehen als morgens. Ganz einfach, oder? Natürlich nicht ganz einfach. Man hungert schon dabei. Aber was halten wir sonst so alles aus? Nervende Kinder ertragen wir, und könnten sie doch zur Adoption freigeben. Meckernde Frauen halten wir im Haus, und könnten sie doch eventuell schnell und gut irgendwo in der Nachbarschaft vermitteln. Wir halten sie aus, auch wenn es ganz ungesund ist für uns. Nur der Hunger ist der stärkere Feind und zwingt uns immer wieder in die Knie. Aber: Reine Kopfsache, hat mein Bauch gesagt; und sich dezent zurückgezogen. Good luck.

Fabian Lau ist freier Autor, Musiker und Krankenpfleger. Er lebt in Malchen, ganz oben, wo er inzwischen auch ganz gut zu Fuss hinkommt.

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