
Landesmuseum Mainz
„Wir zeigen keine Helden“, sagt Bernd Schneidmüller, der Leiter der großen kulturhistorischen Ausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa“. Bernd Schneidmüller will keine falschen Erwartungen von Helden wecken; ihm geht es vielmehr um das komplexe Machtgefüge im Mittelalter. Was das Mainzer Landesmuseum zeigt, verrät schon der Titel – nämlich all die Strippenzieher, die mit ihren Netzwerken hinter den Kulissen um Machterhalt und Machtgewinn rangen.
Das symbolisiert die Schau eingangs an drei Thronen. Denn nur der Herrscher durfte sitzen, die Fürsten und Bauern mussten stehen oder knien. Der Kaiser herrschte über halb Europa, aber bei wichtigen Entscheidungen war er auf die Zustimmung von wenigen Familien angewiesen. So suchten kluge Herrscher oft den Konsens. „Furcht verbreiten und Liebe auf sich ziehen“ war ein probates Mittel des Machterhalts laut Schneidmüller.
Die bronzene Thronlehne etwa mit ihren filigranen Blüten- und Blattornamenten stand nach 1060 in der Goslarer Kaiserpfalz. Die Lehne ist eines der bedeutendsten Werke aus der Zeit der Salier, den Herrschern nach den Karolingern und Ottonen. Kein Wunder, dass Kaiser Wilhelm I. diese Lehne bei der Eröffnung des Berliner Reichstags im Jahr 1871 benutzte – das war Symbolpolitik vom Feinsten, eine kluge Anspielung auf die Kontinuität vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bis zum neuen Deutschen Kaiserreich.
Auch heute noch fasziniert das Mittelalter, zumal vieles erst von den Historikern entdeckt wird. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Zeit von 800 bis 1356, von der Krönung Karls des Großen zum Kaiser bis zur „Goldenen Bulle“, einem kaiserlichen Gesetzeswerk. Damals spielte die Region um den Rhein eine wichtige Rolle, von Aachen bis Basel, von Metz bis Frankfurt. Wer die Region beherrschte, der herrschte auch über das römisch-deutsche Reich. Folglich bietet die Schau eine Reise ins Mittelalter anhand von 300 Exponaten, darunter die weltberühmte Heidelberger Liederhandschrift „Codex Manesse“ aus der Zeit um 1300.
Doch das weit gespannte Thema kann das Publikum auch abschrecken. Denn kaum jemand ist historisch so gut bewandert, dass er alle Herrscher aus 550 Jahren kennt. So erfordert die Schau – wenn sie wieder geöffnet ist – locker zwei Stunden Zeit, obwohl einiges an Grundwissen mit Kurzinfos und Comicfilmen aufgefrischt wird. Derzeit dient aber das gute digitale Angebot als Ausstellungsersatz: Der Audioguide führt durch alle Abteilungen, das 60-seitige Booklet steht zum Download bereit, mehrere Kurzführungen stellen jeweils ein Exponat ins Zentrum. Und dann gibt es noch den voluminösen Katalog, der für 29 Euro sehr günstig ist. Bei der Lektüre oder in der Schau trifft man auch auf Willigis, von dem die wenigsten jemals gehört haben dürften. Er war ein Geistlicher und ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr die Kirche von Kaisern und Königen profitierte. Otto II. berief Willigis 975 zum Erzbischof von Mainz. Willigis agierte so geschickt, dass er das Amt lange bekleidete und als „des Kaisers und des Reiches Vater“ bezeichnet wurde. Er war der zweitmächtigste Mann im Reich, der Erzkanzler des Reiches, der Stellvertreter des Papstes und damit der wichtigste Kirchenfürst nördlich der Alpen. Und er machte seinen Einfluss bei vier gekrönten Häuptern geltend, schon bei Otto I. bis zu Heinrich II.
Auch die Ehefrauen der Herrscher waren wichtiger, als es die Geschichtsbücher verzeichnen. Die byzantinische Prinzessin Theophanu war zwölf Jahre alt, als sie mit dem 17-jährigen Otto II. vermählt wurde – eine von den Familien arrangierte Heirat. Dadurch erreichte Otto I. die Anerkennung des ottonischen Kaisertums durch Byzanz. Der diplomatische Schachzug wurde von einer Heiratsurkunde begleitet, die eines der schönsten Objekte in Mainz ist. Das Pergament enthält kreisrunde Medaillons in purpurroter Farbe, hinterblendet von Schrift. Und Theophanu regierte nach dem Tod ihres Mannes 983 das Reich sieben Jahre lang als Kaiserin.
Zum Ausklang der Schau sind zwei Exemplare der „Goldenen Bulle“ zu sehen, die die Rechte und Pflichten der Könige und Kurfürsten regelte und damit die erste deutsche Verfassung war. Drei Erzbischöfe und vier Kurfürsten entschieden über die Wahl der Könige und Kaiser, aber immer erst nach einigen Intrigen.
Christian Huther
Bis 13. Juni 2021
Telefon: 06131/28 570
www.kaiser2020.de

©Andreas Lechtape, Kath. Kirchengemeinde St. Johannes

©Gerfried Sitar, Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal
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