Die Stille schreit hohl und schrill

‚Sound of Silence‘, der Welthit von Simon & Garfunkel von 1964, thematisiert die Einsamkeit in den damals entstehenden Trabantenstädten mit ihrem kalten Neonlicht. „Hello darkness my old friend“ waren die ersten Worte des Liedes. Die natürliche Dunkelheit verbunden mit Stille bot für Paul Simon einen positiv besetzten Rückzugsort.

2016 coverte die Chicagoer Band „Disturbed“ mit viel Erfolg dieses Lied in beeindruckender Weise für unsere Zeit. Während das ursprüngliche Duo damals locker und folkig rüberkam, verwirrte viele Fans die neue und düstere Version. Das bandeigene Video verstörte, was auch im Internet ausgetragen wurde. Paul Simon, der Autor des Liedes, hingegen schickte der Band eine anerkennende Glückwunsch-mail über die gelungene Transformation.

Sound of Silence – mit dem fortschreitenden Lockdown 2020 schrie die Stille weltweit immer lauter und schriller – einen eigenen Rückzugsort gab es, anders als früher, bei vielen nicht mehr. Manche erlebten diese Zeit gar wie eine Isolationshaft, einige schalteten sich ab. Dies war zudem steigerungsfähig, wenn man sich mit Menschen eine Wohnung teilte, die einem inzwischen sehr fremd geworden waren. Die Stille schrie auf einmal hohl, verschluckte die Laute, klagte an. Hatte Paul Simon das biblische Bild der Feuerschrift an der Wand noch als wohltemperierte Warnung besungen, wurde es in der neuen Version – gerade unter Coronabedingungen zur bedrohlichen Zeitansage. Der Eingangssatz „Hello Darkness my old friend“ zum verschlingenden schwarzen Loch.
Die „Macht der Gewohnheit“ entleerte über die Zeit die innere Stille als eigenen Rückzugsort. Die sorglose Hektik ließ den Raum zwischen Reiz und Reaktion immer mehr zerfallen. Mehr noch, so wichtige Energie entfloss wie ein Kriechstrom. Die Feuerschrift an der Wand ist heute brennender denn damals. Die Kraft der Tradition und Menschen, die aktiv in einer wohltuenden Tradition stehen, können hier einen ersten Rückzugsraum eröffnen. Sie können Suchenden helfen, die eigene Stille wohnlich und stärkend zu gestalten. Dann wird der persönliche Rückzug in die Stille und die damit verbundene Dunkelheit zu einem blühenden und aufbauenden Kraftort wachsen.
stefan.hund@stillezeit.de

 

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