En passant. Impressionismus in Skulptur

Medardo Rosso (1858–1928), Das goldene Zeitalter, um 1902, Bronze, 52,5 × 60,1 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum Foto: Städel Museum

Städelmuseum, Frankfurt

Es ist, als stünde man im Atelier eines Bildhauers und würde ihm bei der Arbeit zusehen. Nein, es herrscht kein heilloses Chaos, aber viele Skulpturen wirken unfertig. Oft sieht man noch Fingerspuren des Künstlers, auch tiefe Mulden oder hohe Buckel. Aber all diese Unebenheiten wird der Bildhauer nicht mehr glätten. Die Werke sind inzwischen rund 140 Jahre alt, der Künstler hat die Spuren bewusst stehen gelassen.

Edgar Degas (1834–1917), Kleine 14-jährige Tänzerin, 1878/79–1881, Bronze, H. 98 cm, Europäische Privatsammlung Foto: Städel Museum – Horst Ziegenfusz

Allerdings befinden wir uns nicht in einem Bildhaueratelier, sondern im Frankfurter Städel, das im Mai nach acht Wochen Pause wieder seine Pforten öffnete – mit einem Paukenschlag. „En passant. Skulpturen im Impressionismus“ heißt die Schau, die schon bis in den Herbst verlängert wurde. Als das Städel die Schau mit mehr als 160 Werken Mitte März eröffnen wollte, kam das Wochenende des Lockdowns dazwischen.
Und das beim Impressionismus, dem populärsten Stil der modernen Malerei. Aber Skulpturen? Ja, die gab es, aber wenige, und sie sind kaum bekannt. Die acht Impressionisten-Schauen stellten von 1874 bis 1886 insgesamt 2000 Werke vor, darunter nur 17 Skulpturen. Doch das Städelmuseum hat die unterschätzte Bildhauerei neu entdeckt. Die Schau zeigt neben rund 100 Skulpturen auch 60 Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Fotos, um Vergleiche zu ermöglichen.
Die Maler widmeten sich Spaziergängern, Parkgesellschaften oder der modernen Stadt und bannten das Spiel des Lichtes, der Farben und der Bewegung auf wunderbar flirrende Leinwände – sie gaben eben nicht die Landschaft naturgetreu wieder, sondern ihren eigenen und sehr subjektiven Eindruck von dieser Landschaft. Die Bildhauer hingegen konzentrierten sich auf einzelne Figuren, sie fingen Licht und Farben durch stehen gelassene Bearbeitungsspuren ein, auch durch zerklüftete und scheinbar flatternde Kleider, durch neue Materialien oder durch Bronzen mit starker Patina.
Drei der 17 Skulpturen von den ersten Impressionisten-Schauen sind gleich im ersten Saal der StädelAusstellunghalle zu sehen. Aber es handelt sich eher um neoklassizistische, fast biedere Werke. Kein Wunder, meint Kurator Alexander Eiling, „die Impressionisten waren ja auch eine Art Selbsthilfegruppe. Sie hatten sehr heterogene Vorstellungen, aber ihre Kunst wurde oft abgelehnt. So suchten sie gemeinsam nach neuen Auftrittsmöglichkeiten. Ihre Themen waren zwar ähnlich, aber ihre Herangehensweisen unterschieden sich stark.“
Das Städel konzentriert sich nun auf fünf Bildhauer, zuerst auf Edgar Degas, einen unorthodoxen Maler, den vor allem die Bewegung faszinierte, besonders bei Tänzerinnen, Badenden und Pferden. Er schuf kleine Skulpturen, deren wechselnde Silhouetten er bei Kerzenlicht beobachtete – so entwickelte er viele Ideen für seine Bilder. Edgar Degas erprobte aber auch neue Materialien wie Wachs.
Seine bekannteste Skulptur und der Star der Ausstellung ist die „Kleine 14-jährige Tänzerin“ von 1878/81, ebenfalls in Wachs geformt. Im Städel ist zwar eine spätere Bronzeversion zu sehen, aber das schadet nicht dem imposanten Eindruck des biegsamen Mädchens mit Mieder, Tüllrock, Haarschleife und Tanzschuhen, also eine hyperrealistische Figur. Die Ballerina war ein Skandal, denn die meisten dieser blutjungen Frauen lebten nicht vom Tanzen, sondern von der Prostitution – solche Frauen stellte man damals nicht dar, schon gar nicht in Wachs, das eher in ein zoologisches Museum passte, wie Kritiker monierten.
Als typischster impressionistischer Bildhauer gilt Medardo Rosso, den die flüchtige Wahrnehmung umtrieb. Tagtäglich ging er an der Pförtnerin seines Hauses vorbei, immer mit Tonklumpen in der Hand, um sie aus den Augenwinkeln zu porträtieren – ein furioses Bildnis voller Lichtreflexe. Der kaum bekannte Paolo Troubetzkoy wiederum war ein „Bildhauer des Kostüms“, dessen vielfach aufsplitternde Falten an den lockeren Pinselduktus der Malerkollegen erinnern.
Während Rembrandt Bugatti nur dösende oder fressende Tiere abformte, widmete sich Auguste Rodin dem perfekten Auftritt seiner Figuren. Die „Eva“ von 1881 grub er so tief in Sand ein, dass sie dem Betrachter in die Augen blickte. Dieses Augen-Spiel treibt nun auch das Städel.

Von Christian Huther

Bis 25. Oktober 2020
Katalog 39,90 Euro
Tel: 069 60 50 980
www.staedelmuseum.de

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