
Südafrikas Weine dringen in die Weltspitze vor
Die besten Weißweine der Welt kommen – ganz nach Gusto – von der Mosel oder aus dem Rheingau, aus Burgund, oder von der Loire. Die Top-Roten aus Bordeaux, dem Burgund, der Toskana oder dem Piemont. Von wenigen Ausnahmen abgesehen stammt die Weinelite also aus dem Vaterkontinent des Getränks, Europa- Überseeweine präsentieren sich mehrheitlich als gut gemachte, solide bepreiste Supermarktware. Doch ausgerechnet Südafrika macht sich seit einigen Jahren auf den Weg an die Weltspitze.
Jasper Raats ist die Art Mensch, die man in meiner rheinischen Heimat als „positiv Bekloppte“ bezeichnet. Spricht man mit dem kraftstrotzenden, energetischen Südafrikaner, vernimmt seine vibrierende Stimme und schaut in seine leuchtenden Augen ist sofort klar, dass da einer brennt, für sein ganz persönliches Thema: Weltklasseweine zu erzeugen, die einzigartig in Qualität, Herstellungsweise und Geschmack sind und trotzdem oder gerade deswegen dem Naturprodukt Wein und generell dem, was die Christen „Schöpfung“ nennen, Respekt zu zollen. Raats ist Mitinhaber und Kellermeister des Weingutes Longridge in der Region Stellenbosch, wenige Kilometer entfernt von der Metropole Kapstadt gelegen, die nicht Wenige für eine der schönsten Städte der Welt halten. Mir geht es übrigens anders, ich halte Kapstadt für überschätzt und Stellenbosch gar für ein schreckliches Kunstprodukt, eine Retortenstadt. Verliebt bin ich nichtsdestotrotz in die Weine, die hier kultiviert werden – vor allem in die von Jasper Raats und dem malerisch gelegenen Longridge. Meine beiden Favoriten – weiß wie rot – möchte ich Ihnen gerne vorstellen, als echte Alternative zu – in den Fällen Burgund und Bordeaux.
Ou Steen Chenin Blanc 2017 ist für mich eine echte Offenbarung. Für europäische Verhältnisse ist er mit 14,4 Gramm Restzucker pro Liter er halbtrocken, die gesetzliche Grenze für trockene Weine liegt hierzulande bei gerade einmal 9 Gramm, viele trockene deutsche Weißweine liegen gar bei unter 2 Gramm. Das merkt man diesem Chenin Blanc aber nicht an, er besticht direkt durch seine feinen Orangen-Noten, Grapefruit und Ananas, aber auch Nougat, Bittermandel und Honig. Einer dieser ganz großen Weißweine, die man in einer Blindverkostung und bei Zimmertemperatur aufgrund der Aromenvielfalt, Komplexität und Länge sogar für einen Roten halten würde. Der perfekte Begleiter zu sahnigem Fleisch, Zürcher Geschnetzeltes etwa oder sogar einem feinwürzigen Jägerschnitzel. Oder – nicht zu kalt, bei etwa 14 Grad – für einen langen, gemütlichen Winterabend, an dem man keine Lust auf Rotwein hat, obwohl man eigentlich auch Misterie 2015 öffnen könnte, den Roten von Jasper Raats, den ich Ihnen empfehlen möchte und der für mich in die Weltliga der besten Weine überhaupt gehört. Ein reiner Merlot, bei der Ernte extrem selektioniert, handverlesen, von uralten Rebstöcken. Dann für zwei Jahre im neuen Barriquefaß versteckt, ein weiteres Jahr zur Reifung in der Flasche. Eine Mühe, die sich mehr als lohnt. Misterie ist für Weine dieser Qualität mit seinen fünf Jahren noch ein Kind. Wie sein „Erzeuger“ Jasper Raats vor Kraft strotzend, ungestüm, wild. Sehr reife Blaubeeren präsentieren sich schon in der Nase, die Würzigkeit von Zedernholz, Toast, Rauch, Leder. Am Gaumen dann die stilbildende Öligkeit, die man von den Größten aller Merlots aus dem Pomerol kennt. Unendlich lange bleibt dieser Geschmack, dieses Gefühl der Aromenexplosion am Gaumen. Weltklasse ist immer so ein großes Wort, aber bei diesem außergewöhnlichen, unendlich komplexen Wein kann man es spüren. Und das Beste ist: In fünf Jahren wird er mich noch einmal überraschen, in zehn auch und in 15 ist es dann vielleicht der beste Wein, den ich je probieren durfte.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nicht verschweigen, dass ich Jasper Raats nicht nur persönlich kenne und schätze, sondern seine Weine in Deutschland auch verkaufe. Wenn Sie sie selbst einmal probieren, werden Sie merken, dass dies meine Urteilskraft in keiner Weise beeinträchtigt hat. Und ein noch größeres Vergnügen werden Sie haben, wenn Sie diesen positiv Bekloppten einmal in Südafrika besuchen. Es gibt mittlerweile so wenige Menschen, die eine unbändige Leidenschaft für das entwickeln, was sie tagein, tagaus tun. Unter den Winzern sind gottlob noch einige. Jasper Raats ist einer von ihnen.
Von Michael Ortmanns
Info: Michael Ortmanns, 43 Jahre alt, war bei seinem ersten Besuch in der Südafrikanischen Weinmetropole Stellenbosch entsetzt: Eine Kunstwelt, ganz auf Tourismus und Verkauf getrimmt. Milde stimmten ihn dann einige wenige Weltklasseweine, vor allem die im Text beschriebenen von Jasper Raats. Ou Steen Chenin Blanc und Misterie Merlot gibt es bei www.mioculina.com.
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