MEDIEN FÜR ALLES

Einer gegen Palaver; er schweigt, bis er was zu sagen hat: Fabian Lau.

Wo wir uns nun alle auf Putin eingeschossen haben, und sich Xi Jiping letztendlich doch ganz freiwillig dazugestellt hat, Erdogan sowieso ja schon lange eine klare Linie fährt und Trump auch grad wieder Luft holt, können wir den Messerstecher von Münster noch dazustellen und die beiden Mädchen, die unbedingt ihre Freundin umbringen mussten, auch; und dann können wir lange in den Spiegel schauen und uns mal wieder fragen: Aber wo genau beginnt das eigentlich?

Soviel ist klar: Jeder von uns guten Menschen kann ebenfalls zum Mörder werden. Bei dem Einen würde es vielleicht nur ein klein wenig länger dauern als beim Nächsten, bis er unterm Jackett nach dem Messer tastet. Und ja, wir haben doch immer alle eines dabei, auch wenn die meisten von uns nicht mehr sagen können, seit wann.

Auf die Medien ist kein Verlass mehr, wir sind schon lange auf uns alleine gestellt. Die junge, dicke Frau blickt mit frisch aufgetautem Selbstbewusstsein in die Kamera, und erklärt mir, dass sie schön ist und sich ab sofort also nicht mehr ihres Körpers schämen wird. Ich widerspreche nicht. Meine Meinung ist gar nicht gefragt, ich bin ein alter, weisser Mann, also: Für das Tattoo im Dekolleté gäbe es ein bisschen Punktabzug, soviel ist schon mal sicher bei alten, weissen Männern. Aber sonst hat sie eine tolle Haut und schöne, wache Augen, das ist gut zu erkennen, denn oben rechts im Display blinkt lustig: No filter! Ich gebe auch nicht zu Bedenken, dass ich vielleicht ja immer nur als alter, weisser Mann gelesen (woah!) werde, und mich doch bald noch outen werde mit dem, was ich wirklich bin: eine junge, schwarze Frau nämlich; aber das steht auf einem anderen Blatt. Also nein, sie sollte sich keinesfalls ihres Körpers schämen, sie soll – das hatte uns doch vor Jahren schon eine Margarinenwerbung allabendlich gesungen: So bleiben, wie sie ist. Auch wenn sie ab sofort eventuell ebenso älter wird wie wir alle, und vielleicht noch ein bisschen dicker. Ihre Gelenke werden ihr Probleme machen, irgendwann, und das Herz ebenso, und hoffentlich raucht sich nicht auch schon in ihren jungen Jahren, denn das wird ihr sonst die Lunge heim zahlen, und vielleicht ihre Harnblase, und sehr bald auch schon ihre Haut: No filter. Aber auch das Handy sagt ihr das alles nicht.

In den 15.000 Kommentaren sind in den ersten zwanzig, dreissig schon sehr viele Herzchen zu sehen und sehr viel Häme ist aber auch zu lesen, und weiter schaut sowieso keiner. Aber das reicht doch schon für eine Depression oder einen kleinen Selbstmord, einen innerlich zumindest; oder für den besagten Mord, siehe oben. Was wird, weiss keiner. Denn grad kann keiner genau sagen, was war; was war eigentlich los die letzten Jahre?

Im Moment ist es fast schwieriger, in die Vergangenheit zu schauen als in die Zukunft. Die Medien, sonst für das Vergangene zuständig – berichterstattend, hinterfragend, aufklärend – versagen vollständig. Einzig zuverlässige Aussage in meiner Lieblingstageszeitung, die nur meine Lieblingstageszeitung ist, weil sie die einzige Tageszeitung hier ist: Die Inzidenz. Aber wen interessiert die noch? Täglich finde ich den aktuellen Wert im Lokalteil ganz vorne, erste Seite unten links, zweispaltig, wo sich ein Galeria-Kaufhof-Gutschein doch auch ganz gut machen würde.

Wochenlang habe ich mir dazu Gedanken gemacht, wie die Seiten wohl gefüllt würden – nach der Wahl der Oberbürgermeisterin, die jetzt ja doch wieder nur die Wahl des Oberbürgermeisters geworden ist; schade, finde ich auch, Frau Lau: Nächste verpasste Chance dieser Stadt. Würden jetzt aber seitenweise weissen Flecken bleiben oder noch grössere Fotos von Zecken platziert, wo vorher vielspältig verbreitet wurde, wie nun welche Kandidatin, welcher Kandidat wie zu welchem Thema steht, welche Antwort zu welcher Frage gibt, was sie oder er, am Tag vor/während/am Wahlabend/mit wem/ am Morgen nach und überhaupt nach der Wahl machen würde? Wo aber auch wieder meine persönlich drängendsten Fragen nicht gestellt wurden: Wer macht die ganzen schönen, grossen Strassen wieder vierspurig oder schliesst die City doch dann ganz für PKW und LKW? Vielleicht verbietet jemand komplett die Parkgebühren in der Innenstadt? Einfach so, zur Wiederbelebung der Fussgängerzone vielleicht. Oder erhebt gleichfalls unbezahlbare Durchfahrtgebühren für LKW? Zur Wiederbelebung der Fahrradfahrer vielleicht? Hat es denn immer noch keiner gemerkt: Der Krieg beginnt am Cityring.

 

Fabian Lau ist Krankenpfleger, Musiker und freier Autor. Er lebt in Malchen – wo es letztes Jahr auf der Kerb auch schon mal eine Schlägerei gab. So fängt es an.

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