Schmitts Kulturhappen

Namen, die in Darmstadt noch jeder kennt (2)

Der Kultur-Journalist W. Christian Schmitt, der mehr als 25 Jahre in Darmstadt lebte und einst in Georg Hensels Feuilleton-Redaktion im Darmstädter Echo arbeiten durfte, hat seine Autobiografie vorgelegt, die unter dem Titel „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“ erschienen ist (siehe auch unsere Oktober-Ausgabe). In den „Darmstädter Kultur Nachrichten“ veröffentlichen wir daraus in einer Serie jene darin enthaltenen Porträts mit Darmstadt-Bezug. Diesmal von B wie Barbara Bredow über D wie Karl Dedecius bis zu D wie Fritz Deppert.

Barbara Bredow (Jg. 1937) konnte ich 1991 in meiner Serie „Vereint, doch was nun?“ vorstellen. Über die Darmstädter Malerin verfasste ich unter der Überschrift „Deutsch-deutsche Narben als Ausstellungs-Thema“ einen Artikel, den ich in meinen Tageszeitungs-Verteiler nahm. Das Thema berührte mich auch deshalb, weil ich eineinhalb Jahre als Bundesgrenzschutz-Beamter meinen Dienst an der deutsch-deutschen Demarkationslinie verrichtete. Mein journalistischer Beitrag begann wie folgt:

Zonengrenze, Demarkationslinie, „Friedensgrenze“, Eiserner Vorhang, Todesstreifen. Wie immer auch die Bezeichnung lautete, was sich von der Stadtgrenze Lübecks bis unweit von Hof über mehr als vier Jahrzehnte mitten durch Deutschland zog – bewacht, gesichert von der Nationalen Volksarmee einer- und dem Bundesgrenzschutz andererseits -, ist zwar politisch überwunden, die deutsch-deutschen Narben überall in der Landschaft werden jedoch auch noch nach Generationen erkennbar sein. Unterbrochene Verkehrsverbindungen auf Straße und Schiene lassen sich reparieren, auch geteilte Ortschaften, ja Häuser und Äcker wieder zusammenfügen. So wie Menschen gleicher Sprache und Geschichte, aber mit 40 Jahren unterschiedlicher (Lebens-)Erfahrung wieder zueinander finden werden. Zumindest mittelfristig. Doch nicht erst übermorgen, schon heute beschäftigt dieses traurige „Phänomen“ Künstler diesseits und jenseits. So beispielsweise auch die Malerin Barbara Bredow, die die Initiative entwickelt hat zu einer Ausstellung mit (Arbeits-)Titel „Deutsch-deutsche Grenze“, die der Werkbund Hessen mit Sitz in Frankfurt für den Herbst 1991 vorbereitet. Bei einem Besuch in Bredows Darmstädter Atelier waren nicht nur die ersten 20 von rund 60 geplanten „Grenzbildern“ zu besichtigen, auch die Vorgeschichte und das Konzept sind zu erfahren…

Karl Dedecius (Jg. 1921) hatte vorgeschlagen, dass wir uns zum Gespräch in seinem Darmstädter Büro treffen, dort, wo er als Leiter des Deutschen Polen-Instituts residierte. Es war eine Begegnung, in der beidseitige Sympathie sofort sichtbar wurde. Vielleicht auch deshalb, weil ich ihm erzählte, dass ich im schlesischen Guhrau geboren wurde, das heute polnisch Góra heißt. In dem vom Hamburger Abendblatt am 31. Oktober 1989 veröffentlichten Interview ging es unter der Überschrift „Literatur hilft, alte Feindbilder abzubauen“ um jenen Schritt zu einer „Annäherung“ zwischen Deutschland und Polen, der sich durch den bevorstehenden Besuch von Kanzler Kohl in Warschau eingeleitet werden sollte.

Zwei Fragen aus diesem Interview: Herr Doktor Dedecius, Sie haben einen großen Teil Ihres Lebens und Wirkens in den Dienst einer Sache gestellt: kulturelle, intellektuelle, literarische Brücken zu bauen zwischen Deutschen und Polen. Was müssten Deutsche jetzt an ideeller Unterstützung leisten?

Dr. Karl Dedecius: Es wird in der letzten Zeit sehr viel von dem „Haus Europa“. Aber man darf nicht vergessen, dass ein Haus nicht nur aus einem Dach besteht. Es bedarf zunächst einmal der Fundamente, und die reichen tief ins Erdreich hinein, in die Völker und deren Geschichte. Das polnische Volk muss als Ganzes angesprochen und seine Geschichte muss als Ganzes einbezogen werden. Ich bin im damals multinationalen Lodz geboren und fühlte mich verpflichtet, dort anzuknüpfen, woher ich kam, bei den Fundamenten der kulturellen Gemeinsamkeit der Völker. Denn Kultur dauert etwas länger als nur eine Legislaturperiode, als eine Regierung, ein Parlament. Sie ist etwas, was die Völker seit Jahrtausenden entweder verbindet oder trennt. Ich habe es mir mit dem Deutschen Polen-Institut zur Aufgabe gemacht, nach den gemeinsamen Wurzeln zu suchen…

Wie wünscht sich der Kulturvermittler Dedecius eine Entwicklung hin zum besseren Verstehen zwischen Deutschen und Polen?

Dr. Karl Dedecius: Es haben sich in beiden Völkern zu viele Feindbilder festgesetzt, die schwer aus dem Bewusstsein auszuräumen sind. Dennoch hoffe ich auf einen weiteren Abbau der Vorurteile und ein offeneres Aufeinanderzugehen, auf den Willen, sich tatsächlich wahrzunehmen. Die Polen sind nun einmal unsere Nachbarn, und wir müssen mit ihnen – ähnlich wie mit den Franzosen – gutnachbarschaftliche Beziehungen aufbauen. Wir sollten mithelfen, dass die Polen wieder zurück nach Europa finden.

Fritz Deppert (Jg. 1932) zierte sich, als ich ihm sagte, er solle für das Foto doch zumindest etwas lächeln. Aber so war er. Nach außen eher zurückhaltend, aber hinter den Kulissen hatte er die Fäden in der Hand. Zumindest die in Sachen Kultur in seiner Heimatstadt Darmstadt. Seit ich im Mai 1970 in der Lokalpresse sein Buch „Holzholen“ mit den Worten „Depperts Texte sind ähnlich einer Gleichung nach dem Kürzen: mit vereinfachtem Sprachmaterial einer Lösung entgegen“ aus seiner Sicht äußerst wohlwollend besprochen hatte, gehörte ich irgendwie mit zum Kreis jener, die ihn und sein Schaffen über viele Jahre hin begleiten sollten. Als ich dann noch – nach beruflichen Stationen in Hannover und Dortmund – (wieder) in die alte Residenzstadt zog und meinen Wirkungskreis bei ihm gleich um die Straßenecke hatte, begann die Zeit der langen Gespräche. Wenn er einen Rat suchte, den er im Grunde als Lyrik und Prosa schreibender Schuldirektor gar nicht nötig hatte, trafen wir uns. Was ich von seinen Liebesgedichten hielte, fragte er mich eines Tages. Ich las sie, fand etliches darunter sehr gelungen, ordnete sie nach meinem Geschmack und nannte ihm einige Verlage, bei denen er sein Glück versuchen könne. Er selbst las als Lektor beim Literarischen März alle zwei Jahre (lange Zeit zusammen mit Karl Krolow und Hanne F. Juritz) körbeweise Gedichte von Nachwuchslyrikern, die alle sich um den begehrten Leonce-und-Lena-Preis beworben hatten. Über eine seiner ersten Lesungen schrieb ich u.a.: „Seine aneinander gereihten Gedanken sind zu gut, zu engagiert, als dass man sie in einer Art Pflichtübung auf Zeit über die Zunge jagen sollte… was er anbietet, ist direkt, dabei keineswegs schön. Keine Geschichtchen, sondern Geschichten. Brauchbar, retrospektiv, erfahrungsgemäß, zum alsbaldigen Gebrauch bestimmt…“.

siw

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