Schmitts Lesehappen

Wolfgang G. Fienhold

Namen, die in Darmstadt noch jeder kennt (3)

Der Kultur-Journalist W. Christian Schmitt, der mehr als 25 Jahre in Darmstadt lebte und einst in Georg Hensels Feuilleton-Redaktion im Darmstädter Echo arbeiten durfte, hat seine Autobiografie vorgelegt, die unter dem Titel „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“ erschienen ist (siehe auch unsere Oktober-Ausgabe). In den „Darmstädter Kultur Nachrichten“ veröffentlichen wir daraus in einer Serie jene darin enthaltenen Porträts mit Darmstadt-Bezug. Diesmal von D wie Klaus Doderer und Kurt Drawert bis zu F wie Wolfgang G. Fienhold.

Klaus Doderer (Jg. 1925) teilte (mir) anlässlich seines 80. Geburtstags mit: „Ich wünsche mir für den mir noch vergönnten späten Abschnitt meines Lebens, dass sich das Hamsterrad unseres täglichen Lebens zumindest ab und zu in ein Riesenrad verwandeln möge. In einer seiner Gondeln möchte ich eine Zeitlang sitzen und ab und an erleben dürfen, wie sich mein Blickfeld immer noch ein wenig erweitert, wie das Zusteigen anderer möglich wird, wie ich Freunden zuwinken, zurufen und ihnen vielleicht sogar noch ein paar Ratschläge geben kann.“ 1985 moderierten wir (zusammen mit Fritz Deppert) in der Darmstädter Orangerie einen auf fünf Abende angelegten „Literatur-Treff“, bei dem Autoren des Darmstädter Literaturstammtischs (den ich mit Fritz Deppert organisierte) ihre öffentlichen Lese-Auftritte hatten. Zu den Teilnehmern zählten: Renate Axt, Margarete Kubelka, Dorothea Hollatz, Arnulf Zitelmann, Katja Behrens, Klaus Schmidt-Macon, Ursula Sigismund, Wolfgang Promies, Margarete Dierks, Karl Krolow, Dittmar Werner, Ursula Teicher-Maier, Norbert Bartnik, Frida Bordon, Henning Boëtius, Heleno Saña, Heinrich Schirmbeck, Herbert Friedmann, Ursula Fuchs, Johannes Mitterle und Dorit Zinn. Unabhängig davon suchte ich hin und wieder Doderers Nähe, wenn es um Kinder- und Jugendbuch-Themen ging, schließlich war er nicht nur der Leiter des Instituts für Jugendbuchforschung der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main, sondern zudem auch Herausgeber des vierbändigen Standardwerks „Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur“ (Beltz Verlag), das allein 115 (!) Seiten Personenregister aufwies. Und schließlich war Doderer auch noch Präsident der Erich-Kästner-Gesellschaft, die ein Jahr nach dem Tod des Autors von „Emil und die Detektive“ und vielen anderen Büchern in München gegründet wurde. Doderer kannte nicht nur Erich Kästner persönlich, sondern u.a. auch James Krüss, den er zu einer Haus-Lesung mit Freunden und Bekannten nach Darmstadt eingeladen hatte. Auch daran erinnere ich mich noch sehr genau. Zudem finde ich in meinen Unterlagen ein ausführliches Interview mit Klaus Doderer, das ich mit ihm im Blick auf einen in Frankfurt bevorstehenden Jugendbuch-Kongress führen konnte und das unter der Überschrift „Wird Frankfurt zu einem weiteren Mekka?“ am 2. August 1983 im Frankfurter Börsenblatt erschien.

Kurt Drawert (Jg. 1956) gehörte nach meiner Zählung zu jenem kleinen Kreis von Autoren, die mit den meisten Preisen und Stipendien in diesem Land ausgezeichnet wurden. Mehr als ein Dutzend kam da wohl zusammen. Zweimal trafen wir uns in Darmstadt, wo auch ich mehrere Male wohnte, zum Info-Austausch. Genauer: Ich stellte ihm ein paar Fragen und hoffte auf griffige Antworten. Eine lautete z.B.:

Nicht im Osten, sondern im West Deutschlands sind Sie 1989 mit dem Leonce-und-Lena-Preis, dem kleinen Ritterschlag zum Lyriker, ausgezeichnet worden. An was erinnern Sie sich noch?

Drawert: Es war schon eine ungewöhnliche Situation: zum einen, in den Westen zu fahren, dann an einem Wettbewerb teilzunehmen, und drittens noch den Hauptpreis zu bekommen. In der DDR hatte ich gerade meinen ersten Gedichtband herausgebracht, „Zweite Inventur“ beim Aufbau-Verlag. Ein lange als Manuskript im Verlag gelegenes und dann heftig angegriffenes Buch, mit einem Verriss in der NDL, was schon nicht ganz folgenlos war in Anbetracht der kulturpolitischen Funktion dieser Zeitschrift. Es kam sogar jemand von der Literaturabteilung des ZK, um zu fragen, wie ich auf die Traditionen der westlichen Moderne gekommen bin, auf die Lyriker der Beat-Generation oder Günter Eich, dessen „Inventur“-Gedicht ich paraphrasiert habe.

Weitere Frage: Sie leben in Darmstadt. Kann einer, von dem die Gedichtzeile „Wo immer ich bin, bin ich fremd“ stammt, überhaupt irgendwo Wurzeln schlagen?

Drawert: Mein Ort ist die Sprache, um es etwas pathetisch zu sagen, nicht der Name einer Gemeinde. Und nur an diesem Ort werde ich, wenn überhaupt ankommen können. Aber dieses Fremdsein hat ja auch viele positive Aspekte, für die Arbeit, für die Literatur. Man sieht immer etwas mehr als ein Einheimischer, auch wenn man etwas weniger sieht…

In einem Beitrag, den er im März 2005 für das Monats-Journal „WIR. Das Regionalmagazin“ über die von ihm ins Leben gerufene „Darmstädter Textwerkstatt“ schrieb, heißt es u.a.: „Wer Erz will, muss tief in den Stollen, und wer gute Literatur erwartet, muss auch den nötigen Rahmen schaffen, in dem sie sich herausbilden kann. In Darmstadt sind die Bedingungen dafür aufs Beste gegeben, und so werden von Darmstadt auch weiterhin Impulse ausgehen, wie effizient und erfolgreich Literatur gefördert werden kann…“.

Wolfgang G. Fienhold (Jg. 1950) wurde im Zuge der Verfilmung seines Romans „Die flambierte Frau“ schlagartig bundesweit bekannt. Nicht ganz ernst, aber sicher durchaus lieb gemeint war sein mit „Lieber Chris“ beginnendes Schreiben, in dem es u.a. hieß: „…ich werde dir nie vergessen, dass du mich zum bekanntesten Autor Deutschlands gemacht hast…“. Ich hatte in den 70ern in der Tat einiges über das junge Schreibtalent (und die bundesdeutsche Nachwuchs-Szene) veröffentlicht. U.a. den ganzseitigen Artikel „Im Wartezimmer zur bürgerlichen Kultur. Minipressen oder: Literatur in der Opposition“, in dem auch ausführlich über Wolfgang G. Fienhold zu lesen war. Ebenso in dem Beitrag „Schreiben als ein Ventil“, der am 14.11.1973 im Spandauer Volksblatt erschien und in dem es um einen Besuch in Fienholds Schreibwerkstatt, sein dabei mir Anvertrautes sowie meine eher unmaßgebliche Einschätzung ging. U.a. war da zu lesen: „…1964 ließ ich mir die Haare lang wachsen, das gab Konflikte mit Schule und Elternhaus“. Der Kampf um ein Stückchen Freiheit – oder das, was er darunter verstand – setzte ein. Deutlich wird diese Einstellung auch in einem Text, der ein paar Jahre später entstand: „Als ich geboren wurde/fühlte ich mich frei/denn ich konnte schreien/erst als ich sprechen konnte/befahl man mir zuzuhören.“ Spätestens seit diesem Text jagt er einer Freiheit hinterher, die er hierzulande und in dieser, unserer Zeit nicht mehr finden wird… Als dann Ende der 60er Jahre sich in SDS-Kreisen die große Resignation breitmachte, als die Politschickeria auseinanderbrach, Haschrauchen als neue Seligkeit propagiert wurde, da kam auch Fienhold in den Sog jener Zeiterscheinung. Für eine Handvoll zumeist bitterer Erfahrungen musste er eine Handvoll Jugend geben. Fienhold spielte, flipperte sich über die Zeit. Schreiben wurde für ihn zum Depressionsventil. Die Hoffnung, diese Gesellschaft von jetzt auf gleich verändern zu können, war dahin. Aus der Resignation und der damit verbundenen Trägheit der jungen Pop-Jahre herauszufinden, war nicht leicht für Fienhold. Die neue Devise hieß: leben und leben lassen, Feten feiern, mit schnellen Wagen über lange Pisten jagen, in Spielbanken dem Croupier ein Schnippchen schlagen – einfach frischwärts gehen…. Wolfgang war für mich nicht nur das ewige Schreibtalent. In meinem Redaktionsbüro hängt bis heute das Gedicht „Kunst und Lebenskunst“, das er mir seinerzeit gewidmet hat und das wohl auch für ihn eine Art Lebensmotto war.

siw

„Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“
Verlag Schmitt’s Redaktionsstube
Oktober 2021, 496 Seiten, mit mehr als 350 Fotos und Abbildungen
Preis 25,- Euro;
ISBN: 978-3-00-068579-8 wcschmitt@aol.com

Klaus Doderer
Kurt Drawert

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