
Namen, die in Darmstadt noch jeder kennt (4)
Der Kultur-Journalist W. Christian Schmitt, der mehr als 25 Jahre in Darmstadt lebte und einst in Georg Hensels Feuilleton-Redaktion im Darmstädter Echo arbeiten durfte, hat seine Autobiografie vorgelegt, die unter dem Titel „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“ erschienen ist (siehe auch unsere Oktober-Ausgabe). In den „Darmstädter Kultur Nachrichten“ veröffentlichen wir daraus in einer Serie jene darin enthaltenen Porträts mit Darmstadt-Bezug. Diesmal von F wie Heinz Friedrich und Ursula Fuchs bis zu H wie Herbert Heckmann.
Heinz Friedrich (Jg. 1922) zählte zu jenen, mit denen ein Interview aus mindestens zwei Gründen Freude bereitete: Man saß 1. einem Gesprächspartner gegenüber, der – exklusiv – etwas zu erzählen, mitzuteilen hatte und 2., dessen Antworten nahezu druckreif waren. Zudem gab es da offenbar noch etwas Verbindendes – Darmstadt, jener Ort, in dem früher einmal Kunst und Kultur fast schon ein Lebens-Mittel waren. Friedrich war im Darmstadt-nahen Roßdorf geboren. Und ich lebte mit meiner Redaktionsstube in dieser einst liebenswerten Provinzhauptstadt und konnte ihm von Georg Hensel, meinem Feuilletonchef, erzählen, den er noch aus Zeiten kannte, da sie sich im Keller-Club begegneten.
Anlässlich des 25. Geburtstags des Deutschen Taschenbuchverlags, an dessen Spitze Heinz Friedrich von Anfang an stand, führten wir ein Gespräch, das die Überschrift trug „Besteht Büchermachen zu 30 Prozent aus Kompromissen?“. In der Druckfassung begann es so:
Debütiert hat er 1948 mit dem Drama „Die Straße Nirgendwo“. Drei Jahre später folgte der Erzählungsband „Die Inschrift“. Doch wer heute den Namen des einstigen Gründungsmitglieds der „Gruppe 47“ nennt, denkt nicht an den talentierten Dramatiker, Erzähler oder auch Lyriker. Er denkt vordergründig an den Taschenbuchverleger, der seit 1961 und damit seit der Gründung als geschäftsführender Gesellschafter die Geschicke des Deutschen Taschenbuch Verlags (dtv) bestimmt. Eines Unternehmens, das – neben dem Verleger – noch elf Gesellschafterverlage aufweist. Gemeint ist Heinz Friedrich, in Roßdorf bei Darmstadt geboren, heute in München wirkend, der mit dem dtv 25jähriges Verlags- und Verlegerjubiläum feiern kann, der im kommenden Jahr 65 Jahre alt wird und über eine Bibliothek von etwa 40.000 Büchern verfügt.
Wissen wollte ich aus erster Hand: Als Sie 1961 in München als dtv-Verlagsleiter und Mitgesellschafter die Arbeit aufnahmen, waren Sie gerade 39 Jahre alt – und kannten all jene, die damals innerhalb der deutschsprachigen Literaturszene den Ton angaben. Was sollten, wollten Sie mit dem Deutschen Taschenbuch Verlag alles unternehmen?
Friedrich: Ich wollte ein Abenteuer bestehen. Ein geistiges, ein unternehmerisches. Auch wenn mir das damals eigentlich gar nicht so recht bewusst war.
Sollte es ein literarisches Abenteuer werden?
Friedrich: Kein literarisches. Es war so, wie bei einem mittelalterlichen Ritter, der auszog, um Abenteuer zu finden, sie zu bestehen und möglichst ruhmreich wieder heimzukehren. Ich habe damals (zusammen mit meiner Familie) eine gesicherte Position in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt verlassen…
…bei Radio Bremen?
Friedrich: Da war ich Programmdirektor und stellvertretender Intendant. Dennoch habe ich dieses dtv-Abenteuer auf mich genommen. Mit 50.000 Mark Startschulden. Das war nämlich der Einstand in den dtv, meine Gesellschaftereinlage, die ich nicht hatte. Und mit einem Anfangsgehalt von 2.200 Mark.
Es gab in den vergangenen Jahren Spekulationen, Prophezeiungen, der Taschenbuchmarkt werde bald 30 und mehr Prozent an der Titel-Gesamtproduktion erreichen. Solches ist nicht eingetreten. Hat das Taschenbuch seine besten Zeiten bereits hinter sich?
Friedrich: Ich habe was gegen diese Prognosen. Die bringen überhaupt nichts. Ich bin ein spontaner Mensch. Ich bin ein Mensch, der aus der Intuition lebt und aus dem Augenblick. Entweder ich weiß, was ich will, und ich fühle noch in mir die Kraft, herausfordernde Wirkung auszuüben auf dem Markt, oder ich hab`s nicht. Die konjunkturelle Eiertänzerei ist nie mein Fall gewesen….
Heinz Friedrich war stets zu einem Gespräch bereit. Einige davon erschienen u.a. im März 1979 in der Saarbrücker Zeitung („Bestsellerlisten sind Unsinn“) und in der Zürcher Weltwoche („Die Risiken wachsen“).
Ursula Fuchs (Jg. 1933) lernte ich beim monatlichen Treffen des Darmstädter Literaturstammtischs kennen. Sie war gelernte Sekretärin und begann 1971 mit dem Schreiben. In der für das Darmstädter Echo entwickelten Reihe „Aus der Literatur-Werkstatt“ konnte ich sie Ende der 80er Jahre vorstellen und erfuhr u.a.:
Den Anlass, Autorin (und zudem 1979 auch noch Deutsche Jugendbuch-Preisträgerin) zu werden, beschreibt sie selbst so: „Eigentlich brachten mich meine eigenen Kinder dazu. Ich habe ihnen praktisch jeden Abend vorgelesen und bin so zur neuen Kinderliteratur gekommen. Und irgendwann war der Schritt nicht mehr weit, sich zunächst selber Geschichten auszudenken und diese natürlich auch niederzuschreiben.“ 1974 erschien auf diese Weise ihr erstes Buch „Die Vogelscheuche im Kirschbaum“.
Mittlerweile sind daraus 15 geworden (das allerneueste „Charlotte. Einfach nur Charlotte“ ist kurz vor der Buchmesse in ihrem „Hausverlag“ Anrich erschienen). Dazu kommen zahlreiche Übersetzungen ins Englische, Japanische, Dänische und sogar Finnische (wo der mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnete Titel „Emma oder die unruhige Zeit“ beim Verlag Weilin & Göös in Helsinki als „Julia ja sota“ veröffentlicht worden ist).
In dem Buch „Emma“ versuchte Ursula Fuchs die unmittelbaren Folgen des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht eines kleinen Mädchens darzustellen. Und an einem „Emma“-Nachfolgeband arbeitet sie derzeit auch. „Was ist aus Emma geworden, als der Krieg zu Ende war?“ würden sie immer wieder Kinder, junge Leser und Zuhörer fragen. Ja, was ist aus ihr geworden? Die Geschichte sei noch nicht über die Eingangsphase hinaus gewachsen: „Den roten Faden habe ich zwar schon, aber ich lasse mich selbst überraschen von den Figuren, die da dann auftauchen und wichtig werden…“.
Herbert Heckmann (Jg. 1930) war von der Idee angetan, die wir ihm (mein Literaturagent Axel Poldner und ich) gerade vorgetragen hatten. Wie wäre es, wenn wir mit Unterstützung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung eine Anthologie mit Arbeiten aller Büchner-Preisträger zusammenstellten? Ein Buch, das es – wieso eigentlich nicht? – bis dato nicht gab. Mehr noch: Heckmann könnte, sollte, wollte gar ein Vorwort dazu schreiben. So der Plan. Mit Langen-Müller war rasch ein Verlag gefunden, die Arbeit konnte beginnen – und stand schon bald danach vor dem Abschluss. Alle Preisträger hatten einem Abdruck zugestimmt, und auch im Falle bereits Verstorbener waren von den Rechteinhabern die Bewilligungen eingeholt. Was fehlte, war das verabredete Vorwort. Offenbar hatte sich zwischenzeitlich die „Akademie-Politik“ ein wenig geändert. Ein neuer Präsident sollte gekürt werden. Und so erschien 1984 die Anthologie „Deutsche Prosa. Die Büchner-Preisträger“, die noch heute übers Internet beziehbar ist, ohne Akademie-Unterstützung. Das Buch lag vor und zahlreiche, durchaus positive Kritiker erschienen. Das reichte von „Zu loben ist die Idee“ (Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt) über „Abwechslungsreicher kann ein Buch kaum sein“ (Kölnische Rundschau) oder „Eine kleine Köstlichkeit, eine längst überfällige Anthologie“ (Darmstädter Tagblatt) bis zu „Konkurrenzlos“ (Darmstädter Echo). Prof. Herbert Heckmann kam in einem Interview, das unter der Überschrift „Steht der Altherrenklub vor programmatischer Wende?“ am 8. Oktober 1982 im Frankfurter Börsenblatt erschien, höchstselbst zu Wort:
Herr Prof. Heckmann, vielleicht sollten Sie an dieser Stelle doch einmal kurz etwas zum Selbstverständnis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und deren ganz spezielle Aufgaben sagen.
Prof. Heckmann: Jeder versteht das ein bisschen anders, ohne dass dies sich widersprechen würde. Es ist sehr wichtig, dass wir uns verstehen als eine Institution, die kritisch wach ist, die sich der Literatur, der gegenwärtigen, in diesem Land annimmt. Wir wollen aber auch das Gespräch zwischen Einzelnen, zwischen Dichtern, Schriftstellern und Professoren zustande bringen. Zwischen Professoren, die nicht in dem elfenbeinernen Turm der Universität stecken, und Schriftstellern, die sich nicht in ihrer poetischen Klause verstecken. Die Erwartungen an Literatur und Sprachwissenschaft, aufgestellt oder unterstützt von den Massenmedien, sind gar nicht so einfach. Und die Gleichmacherei ist hier sicher das Gefährlichste. Wir sind alle Skeptiker, und wir lassen uns nicht so leicht ein X für ein U vormachen….
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