Schmitts Lesehappen

Namen, die in Darmstadt noch jeder kennt (6)

Der Kultur-Journalist W. Christian Schmitt, der mehr als 25 Jahre in Darmstadt lebte und einst in Georg Hensels Feuilleton-Redaktion im Darmstädter Echo arbeiten durfte, hat seine Autobiografie vorgelegt, die unter dem Titel „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“ erschienen ist (siehe auch unsere Oktober-Ausgabe 2021). In den „Darmstädter Kultur Nachrichten“ veröffentlichen wir daraus in einer Serie jene darin enthaltenen Porträts mit Darmstadt-Bezug. Diesmal geht es um Roland G. Hoppenstedt, Katrine von Hutten und Hanne F. Juritz.

Roland G. Hoppenstedt (Jg. 1924) hatte zunächst Bedenken. Denn nie zuvor war er bereit, einem Journalisten in Form eines Interviews detaillierte Einblicke in seine Firmengruppe zu gewähren, die 1985 mit 335 Mitarbeitern einen Umsatz von zirka 48,5 Millionen Mark erzielen konnte. Doch dann saß ich dem Firmenchef dieses 1926 in Berlin gegründeten Traditionsunternehmen in Darmstadt gegenüber und wir sprachen darüber, wie sich „ein Fachverlag auf den Weg zum Datenbanker“ (so die Überschrift in dem am 11. Februar 1986 im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel veröffentlichten Beitrag) entwickelt.

Herr Hoppenstedt, ein Verlag wie Kiepenheuer & Witsch hat Günter Wallraff und Heinrich Böll im Programm. Bei Droemer sind es unter anderem Ludwig Ganghofer und Johannes Mario Simmel; bei Heyne, Bastei-Lübbe und Goldmann steuert (auch) Heinz G. Konsalik einen nicht unerheblichen Teil zu Erfolg und Image bei. Was sind denn bei einem Fachverlag wie Hoppenstedt die Umsatzbringer, die – wenn man so will – Besteller?

Hoppenstedt: Im Gegensatz zu belletristischen Verlagen haben wir es mit Autoren zu tun, die bei uns im Hause sitzen, die Angestellte sind und für uns die Inhalte unserer Bücher erarbeiten. Auch wir haben einige „Bestseller“, etwa das zweibändige „Handbuch der Großunternehmen“, das noch immer eine jährlich steigende Auflagen-Tendenz aufweist. Und dies, obwohl es das Werk auch als Datenbank via elektronische Medien gibt.

Nun erreichen die „Bestseller“ bei Ihnen allerdings nicht Auflagen von 100.000 oder gar mehr Exemplaren…

Hoppenstedt: Das sicher nicht. Die Zahl der Abnehmer für das „Handbuch der Großunternehmen“ liegt jetzt bei 5.500. Vor fünf Jahren waren es erst 4.000.

Hoppenstedt passt mit seiner breiten Programm- und Angebotspalette, die von Fachzeitschriften über ein Datenbank-Service-Unternehmen bis hin zu Börsen-Seminaren reicht, ja eigentlich schon längst nicht mehr in das traditionelle Bild eines Fachverlags. Wie definiert sich hier im Hause das verlegerische Selbstverständnis?

Hoppenstedt: Was wir bieten, das sind „Informationen aus der und für die Wirtschaft“. Wobei wir uns hier ganz bestimmte Teilbereiche herausgesucht haben, etwa die deutschen Aktiengesellschaften, die Banken, die Versicherungen – oder wir bieten firmenkundliche Nachschlagewerke, Bezugsquellen-Verzeichnisse wie etwa „Wer baut Maschinen?“ an.

Wie könnte aus Ihrer Sicht, aus der Sicht eines Fachbuch-Verlegers, im Jahre 2000 die bundesdeutsche Verlagslandschaft aussehen?

Hoppenstedt: Ich bin fest davon überzeugt, dass es die Fachbuchverleger und auch das Fachbuch dann noch geben wird. Die Neuen Medien, die Möglichkeiten über Computer Daten zu speichern und abzurufen, werden alle Verleger allerdings dazu zwingen, noch gründlicher zu recherchieren und noch bessere Bücher zu erstellen. Wobei ich unter Fachbüchern Werke mit Informationen über Firmen und Produkte, nicht mit Lehrstoffen verstehe.

Katrine von Hutten (Jg. 1944) war 1969 – nach Wolf Wondratschek – mit dem Leonce- und Lena-Preis ausgezeichnet worden, den ursprünglich Wolfgang Weyrauch ins Leben gerufen hatte und der gerade mal mit 1.000 DM dotiert war. Während meiner Darmstädter Zeit hatten wir uns gelegentlich gesehen. Doch nun, da ich in der Kulturredaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung saß, bot sich die Gelegenheit, sie im Rahmen einer Artikelserie über junge bundesdeutsche Autoren zu besuchen.

Ich erinnere mich an den Beitrag, der damals so begann: „Wenn Jakob eine Tochter geworden wäre“, sagt sie und schiebt mir die rot getupfte Teetasse rüber, „dann hätte sie Julia geheißen“. Dann geht die Tür auf, Jakob rauscht um die Ecke, „wer is’n das?“ (Das Autorenporträt erschien u.a. auch im Spandauer Volksblatt sowie in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung). Jakob war das Ergebnis einer Liaison mit Arnfrid Astel, der weit über seinen Arbeitsbereich beim Saarländischen Rundfunk im bundesrepublikanischen Literaturbetrieb mitmischte. Über eine Lesung mit Katrine von Hutten schrieb ich zuvor schon am 26. September 1970 im Darmstädter Echo:

Da kommt sie: langgelbes Haar, belegte Stimme. Da ist sie: direkt und etwas freundlich und vernehmbar, auch aufnehmbar. Da schmunzelt man, so wie man bei Artmann schmunzeln würde. Da überdenkt man auch ein paar Momente, wie man bei Astel denken würde. Oder man sagt: “Nein, so nicht!”, wie es einem bei Günter Bruno Fuchs in den Sinn kommt.

„Ich würde gerne den Winkel messen zwischen Nase und Stirn.” Das sagt sie und greift sich ins Haar, mehr sicher und bewusst und gekonnt, als unsicher. Katrine von Hutten liest. Sie ist da. Sie trägt vor. Dass sie da ist, ist wichtig.

Katrine von Hutten, Jahrgang 44, geboren in Steinbach bei Lohr, bedacht mit dem Leonce-und-Lena-Preis 1969 – sie ist ihrer sicher. Das Belegte in ihrer Stimme wird zusehends sprachliches Mittel. Hinter dem Blumenstrauß auf der kleinen Ablage sind Manuskripte und andere Werke angehäuft. Mit „Masturbation” – einem Text – führt sie ein paar Zeilen lang über die Pisten der Lust. Brustspitzen straffen sich, erzählt sie. Ein paar Punkte später dann: die totale Abschlaffung. Sie gibt sich mutig. Vielleicht hat es gar „tatsch” gemacht. Sie berührt Arrabal oder auch Chotjewitz. Das genügt. Sie kommt aus der Enge, über einen Berg Banales zu etwas Treffenderem. Sie macht die Beine breit – so verlangt es ihr Text – zum Spagat. Katrine von Hutten hat Lust. Sie hat Lust, vorzulesen.

Hanne F. Juritz (Jg. 1942) war für mich erstmals Berichterstattungsgegenstand, als sie den „ganz kleinen Büchner-Preis“ erhielt, wie es in meinem Echo-Artikel am 24. Oktober 1972 hieß. Genauer: sie wurde mit dem Leonce-und-Lena-Preis ausgezeichnet. Hier zwei Kapitel aus dem Bericht:

Wolf Wondratschek („Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin…“) heftete ihn sich mehrere Jahre stolz in seine Vita; Katrine von Hutten indes brachte er bislang nicht den erhofften literarischen Durchbruch; mit Hanne F. Juritz geht er in diesem Jahr an ein nahezu unbeschriebenes Schriftstellerblatt – der Leonce-und-Lena-Preis.

Wolfgang Weyrauch, der vor kurzem 65 wurde, war 1968 auf eine solche Idee gekommen; weil er statt einer neuen Anthologie – von denen er ja ausreichend viele herausgegeben hat – mit „gesprochenen Texten etwas unternehmen“ wollte. Er sprach darüber mit Heinz Winfried Sabais, seinerzeit noch Kulturdezernent von Darmstadt. Man dachte an Georg Büchner – und der klitzekleine Büchnerpreis war geboren. 1.000 Mark wurden drangegeben, Ausschreibung und Jurierung besorgte Weyrauch höchstselbst. Mehr als 1.000 Gedicht-Einsendungen kamen beim ersten Versuch, knapp 1.000 dann beim zweiten und jetzt – beim dritten Durchgang nach längerer Pause – wieder „überwältigend viel“…

Ein Jahr später, am 16. September 1973, hatte ich im Spandauer Volksblatt Gelegenheit, in einer Kritik auf Hanne F. Juritz´ Buch „Nach der ersten Halbzeit – Gedichte“ (erschienen in der Eremitenpresse) näher einzugehen und kam unter der Überschrift „Unverbindliches en masse“ zu einem eher vernichtenden Urteil: „Beim Leser der wenigen durch ansprechende Grafiken von Sascha Juritz angereicherten Texte, frage ich mich bei jeder Seite: Hat auf dieser Seite, die du da eben gelesen hast, überhaupt etwas gestanden? Ja, wie soll ein Leser mit Gedichten einer Autorin zurechtkommen, die offenbar mit der Umsetzung ihrer Gedanken noch nicht so zurechtkommt, die uns Probleme aufzutischen versucht, die keine sind. Und selbst das von Weyrauch preisgekrönte Gedicht, ans Ende des Bandes gestellt (kommt das Beste nicht immer am Schluss?) verliert, nun schwarz auf weiß gedruckt, erheblich an Preiswürdigkeit…“.

Fast 50 Jahre später bin ich mir fast sicher – so geradezu gnadenlos würde ich heute wohl kein Urteil mehr fällen.

siw

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*