Schmitts Lesehappen

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Namen, die in Darmstadt noch jeder kennt (7)

Der Kultur-Journalist W. Christian Schmitt, der mehr als 25 Jahre in Darmstadt lebte und einst in Georg Hensels Feuilleton-Redaktion im Darmstädter Echo arbeiten durfte, hat seine Autobiografie vorgelegt, die unter dem Titel „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“ erschienen ist (siehe auch unsere Oktober-Ausgabe 2021). In den „Darmstädter Kultur Nachrichten“ veröffentlichen wir daraus in einer Serie jene darin enthaltenen Porträts mit Darmstadt-Bezug. Diesmal geht es um Karl Krolow, Ernst Leonhard und Brigitte Lenscheid.

Karl Krolow (Jg. 1915) war nicht nur einer der wohl bekanntesten deutschsprachigen Lyriker, er war auch Literaturkritiker und vor allem Briefeschreiber. Wenn man ihn in seiner Schreibwerkstatt im Park Rosenhöhe in Darmstadt besuchte, betrat man die Welt eines Dichters. Hier war er unumschränkter Herrscher über Wörter, mit denen er uns Lesern seinen jeweiligen Seelenzustand vermittelte. Der Suhrkamp-Autor war kein Mensch, der im persönlichen Gespräch allzu viel Nähe zuließ. Wer ihn das erste Mal sah und hörte, vermutete in ihm einen konservativen, steifen Norddeutschen. Dabei war Krolow alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Für mich waren seinen deftigen, die menschlichen Bedürfnisse spiegelnden „Bürgerlichen Gedichte“, die er unter dem Pseudonym Karol Kröpke (wohl in Anspielung auf das berühmte Café Kröpke in seiner Heimatstadt Hannover) veröffentlichte, am authentischsten. Nicht vergessen ist auch die Reihe „Lyrik, Lesern nahegebracht“, die wir von 1982 bis 1986 gemeinsam (dritter im Bunde war Fritz Deppert – auf unserem Foto zusammen mit Krolow und Hanne F. Juritz -, vor allem bekannt als Lektor für den Junglyriker-Wettstreit „Literarischer März“) für das Darmstädter Echo betreuten. Aber darüber sprachen wir bei unseren Begegnungen nicht. In Erinnerung geblieben ist der letzte Besuch bei ihm, als er schon mit dem Tode kokettierte. Es war das einzige Mal, dass er eine spontane Regung zeigte und mir an der Tür seine Hand auf die Schulter legte. Seine Art von Abschiednehmen.

Vor mir liegt ein Artikel, den ich anlässlich seines 70. Geburtstags im März 1985 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte und der so begann:

Dass ihn in Vormittagsstunden des Öfteren Schüler anriefen – in der Pause vor oder nach einer Deutschstunde – und ihn freiweg danach fragten, wie er denn selbst dieses oder jenes (seiner) Gedichte interpretieren würde, hält er für einen durchaus normalen Vorgang. Ein naheliegender Weg, ein unkomplizierter ist es zudem, denn Darmstadts Telefonbuch weist nur einen aus, der hier kompetenterweise Auskunft geben könnte. Er steht zwischen Krolopp, Erna, und Krolzyk, Horst – Karl Krolow, der Darmstädter (hier wohnt er seit 1956), der aus Hannover kam (wo er geboren ist). Büchner-Preisträger, ehemals Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Ehrendoktor der Technischen Hochschule Darmstadt, Übersetzer, Essayist, Literaturkritiker, aber vor allem Lyriker.

Dass er, seinem hannoverschen Naturell entsprechend, sich eher zurückhaltend geben, auf Außenstehende – seine Leser, Bewunderer, selbst seine Verehrer und Fans – reserviert wirken soll, ist hinlänglich bekannt und als Einstimmung ausreichend. So hat man ihn festgelegt. So ist sein Image. Das mag er vielleicht auch gerade so. Ein Dichter zum Anfassen?

Der Empfang ist fast schon eine Mischung aus Freundlichkeit und Herzlichkeit. Als er sich sogleich für Augenblicke mit einer Entschuldigung zurückzieht, er müsse diesen Gedanken, diesen Satz, der ihm soeben eingefallen sei, niederschreiben, kommt sogar ein wenig Vertrautheit auf. Solcherlei Spontaneität kenne ich. Dann ist er zurück, „vielleicht war dies der Anfang eines Gedichts?“, sagt er, und wir sind bereits mitten im Gespräch. Neugierig beginne ich, geradezu banal klingende Fragen zu stellen wie etwa: „Wie begann das eigentlich damals mit Ihrem Schreiben?“ „Ich war neun oder zehn“, so weit auszuholen, zurückzusteigen in die eigene Vergangenheit, ist er bereit, „da habe ich zu Mutters 40. Geburtstag einen Vierzeiler geliefert“.

„Passen Sie auf“, sagt er, mich aus weiteren Gedanken reißend, „wir sind noch nicht am Ende. Ich habe Vergänglichkeit durchgespielt“. Er erklärt, erläutert – und schafft Distanz zwischen sich und allem um sich herum. Mehr und mehr und offensichtlich. Und dann seine Bilanz als Schriftsteller, als Lyriker: „Ich habe das beschrieben, was übrigbleibt – nämlich nichts“. Er sagt dies ohne Wehmut, ohne Trauer. Faktum für ihn.

Im Blick auf seinen 80. Geburtstag ergab sich dann neuerlich die Gelegenheit zu einem Besuch in seiner Literatur-Werkstatt auf Darmstadts Rosenhöhe:

Herr Krolow, mit Blick auf Ernst Jünger, der seinen 100. Geburtstag vor sich hat, erscheint der 80. allenfalls als Zwischenstation. Zu welch gewandelten An- und Einsichten literarischer wie persönlicher Art zwingt das Alter zwangsläufig?

Krolow: Als Mensch, als Schriftsteller versuch(t)e ich einiges von dem zu fixieren, was mir wichtig ist. Sei es in Prosa oder in Lyrik. Und ich verfolgte das Kommen und Gehen der Kollegen und Kolleginnen, die so ähnlich arbeiteten oder arbeiten, wie ich es getan habe, aufmerksamer. Wenn ich mir diesen raschen Prozess vor Augen führe, bin ich erschrocken. Es wird wohl immer schwieriger, als Lyriker bekannt zu werden, ins Gespräch zu kommen – und durchzuhalten. Mir ist dies eine gewisse Zeit gelungen.

Zu Ihrem 50. Geburtstag legte Suhrkamp seinerzeit „Gesammelte Gedichte“ vor, jetzt ist ein Band mit „Gesammelter Prosa“ hinzugekommen. Schauen Sie denn gelegentlich gern zurück zu Ihren literarischen Anfängen?

Krolow: Ich gerate in archäologische Vorstellungen, wenn ich an Anfänge denke. Und damit auch an mögliche oder tatsächliche Entdeckungen: Das hast Du immerhin versucht, das ist Dir gelungen, das offenbar nicht – so meine Reaktion beim Wiedersehen alter Texte, was übrigens sehr selten geschieht. Gelegentlich ein Staunen, dass mir etwas gelang, ja Fassungslosigkeit, wie weit ich mich damals vorwagte, als ich Surrealismen ins Gedicht brachte. Nach dem Krieg für Leser etwas Unerhörtes.

Sie haben im Laufe Ihres literarischen Lebens in aberhunderten von Gedichten, Texten Ihre Sicht der Dinge, des Lebens, der vorgegebenen Abläufe sowie der Phantasie dem Leser präsentiert. Fragen Sie (sich) gelegentlich nach dem, was bleiben wird?

Krolow: Man fragt es sich nicht so bewusst, wie Sie es jetzt sagen. Aber da ist eine unterschwellige, ständige Bereitschaft zu dieser Frage. Es ist ein leiser Motor, der singt und einen aufmerksam macht. Wenn der abgeschaltet wird oder sich selber abschaltet, dann wäre dies schlecht für den Autor. Das ist für mich eine der Triebfedern, jedenfalls diese geheime Aufmerksamkeit sich selber gegenüber. Man muss eine Witterung haben, die etwas rascher ist als die Zeit, die eingeteilt ist ein für alle Mal. Nein, man muss dem zuvorkommen. Und wenn es nur um ein weniges ist. Dies habe ich immer wieder versucht im Laufe meines langen literarischen Lebens, wenigstens im Gedicht. Die sehr frühe Prosa will ich nicht zählen. Auch die Zeitungsprosa ist mir in einem engeren Sinn heute überhaupt nicht mehr wichtig, weil nicht empfindlich genug. Die Höhe der Sensibilität ist es, die mich reizt. Sie zu erreichen und wieder zu erreichen und möglichst zu überbieten, wenn das gelänge, ist ein Stachel, der immer da sein sollte. Und das gilt nicht nur für Literatur. Ich habe genug kommen und gehen sehen, genug Entwicklungsabläufe in ihren Anfängen, in ihrem langsamen oder auch zähem Enden, die Moden und Mätzchen, aber auch gewisse Beständigkeiten, die es schafften weiterzuleben…

Ernst Leonhard (Jg. 1926) war Inhaber der Deutschen Buch-Gemeinschaft. Das im Frankfurter Börsenblatt veröffentlichte Interview mit ihm trug die Überschrift „Bei Programmplanung völlig autonom“:

Herr Leonhard, lässt man die Büchergilde einmal außen vor, dann haftet der Deutschen Buch-Gemeinschaft (DBG) das Image an, der wohl literarischste Buchklub in diesem Lande zu sein. Woran liegt´s? Doch nicht einzig daran, dass Sie regelmäßig nach der Frankfurter Buchmesse Autoren zur „Darmstädter Lesung“ präsentieren.

Leonhard: Ein paar Dinge kommen schon noch hinzu. Z. B. hatten wir von den Literatur-Nobelpreisträgern Saul Bellow, Isaak B. Singer, Elias Canetti und Gabriel Garcia Marquez bereits für das Quartal, des der Verleihung folgt, ein wichtiges Werk in unserem Angebot. Sie sehen, das Nobelpreis-Komitee arbeitet auch für unser Image. Aber im Ernst: Wir machen kein Spezialprogramm für Literaten. Dennoch haben wir uns immer bemüht, im belletristischen Angebot neben der Unterhaltungsliteratur eine beachtliche Anzahl von literarisch anspruchsvollen Titeln zu bringen. Das hat Tradition in der Deutschen Buch-Gemeinschaft genau wie die besondere Förderung der in deutscher Sprache schreibenden Autoren. Und das soll auch so bleiben.

Andererseits: Was ist das für eine Situation, in der sich Ihr Buchklub befindet? Zum einen stehen Sie in einer gesunden Konkurrenzsituation z.B. auch zur EBG und zum Lesering. Zum anderen sind Sie mit diesen Firmen „partnerschaftlich“ verbunden.

Leonhard: Auch die in der Europäischen Gemeinschaft vereinten Nationen sind Partner und Konkurrenten zu gleicher Zeit und haben aus diesem Zusammenschluss ihren Nutzen bei manch Gegensätzlichem, das geblieben ist. Hier sehe ich das nicht anders.

Noch direkter gefragt: Eine 50prozentische Bertelsmann-Tochter zu sein, wie dies bei der DBG der Fall ist, bedeutet das nicht: Jeder Vorgang bedarf der doppelten Unterschrift, Abstimmung, Absegnung?

Leonhard: Hier können Sie aus der Firmenkonstruktion schon einiges ablesen. In der Deutschen Buch-Gemeinschaft bin ich geschäftsführender Gesellschafter und Komplementär, während sich das Haus Bertelsmann in der Eigenschaft des Kommanditisten befindet. Insofern ist weder eine „zweite Unterschrift“ nötig, noch fällt jede zweite Entscheidung in Gütersloh….

Brigitte Lindscheid (Jg. 1961) ist seit 2014 Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Darmstadt, das Interview mit ihr war Titelgeschichte („Gereizt hat mich die Fülle der rund 5.000 Aufgaben“) im WIR-Magazin Nr. 237. Im September 2015 traf ich mich mit ihr:

Frau Regierungspräsidentin, ich dachte, ich beginne unser Gespräch mit der Frage, welche Vorteile es hat, wenn man größer ist als der Durchschnitt.

Brigitte Lindscheid: Man wird leichter gesehen, wenn man gesucht wird. Dies ist als Regierungspräsidentin ein gewisser Vorteil.

Welche Voraussetzungen muss man eigentlich mitbringen, um Regierungspräsidentin zu werden?

Brigitte Lindscheid: Juristin zu sein ist mit Sicherheit hilfreich. Aber es ist auch von Vorteil, wenn man schon in vielen Bereichen Erfahrungen gesammelt hat und diese in die Verwaltungspraxis mit einbringen kann.

Vielerorts ist die Meinung zu vernehmen, dass dieser Job nur mit dem richtigen Parteibuch zu bekommen sei. Oder wie haben Sie Ihre Berufung empfunden?

Brigitte Lindscheid: Natürlich spielt die Parteizugehörigkeit eine Rolle. Wir arbeiten ja in enger Verbundenheit mit der Landesregierung zusammen. Und da ist es schon notwendig, dass ein Miteinander gewährleistet ist. Damit ist aber kein „Durchregieren“ gemeint, denn das Regierungspräsidium gewährleistet immer einen unabhängigen rechtlichen Standard.

Ein Landrat in Ihrem Verantwortungsbereich hat unlängst auf die Frage eines Journalisten, ob es in 10, 15 Jahren noch Landräte geben werde, geantwortet: Sicher, eher werden Regierungspräsidien überflüssig.

Brigitte Lindscheid: Regierungspräsidien waren in der Vergangenheit nicht überflüssig und werden es auch in Zukunft nicht sein. Sie sind genau die richtige Instanz für das, wofür man sie braucht. Nämlich Aufgaben aus den verschiedenen Ressorts unter einem Dach zu bündeln…

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