Schmitts Lesehappen

Symbolbild: Pixabay

Namen, die in Darmstadt noch jeder kennt (8)

Der Kultur-Journalist W. Christian Schmitt, der mehr als 25 Jahre in Darmstadt lebte und einst in Georg Hensels Feuilleton-Redaktion im Darmstädter Echo arbeiten durfte, hat seine Autobiografie vorgelegt, die unter dem Titel „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen. 50 Jahre unterwegs als Kultur-, Literatur- und Buchmarkt-Journalist“ erschienen ist (siehe auch unsere Oktober-Ausgabe 2021). In den „Darmstädter Kultur Nachrichten“ veröffentlichen wir daraus in einer Serie jene darin enthaltenen Porträts mit Darmstadt-Bezug. Diesmal geht es um Karl Krolow, Brigitte Lindscheid und Alexander U. Martens.

 Karl Krolow (Jg. 1915) war nicht nur einer der wohl bekanntesten deutschsprachigen Lyriker, er war auch Literaturkritiker und vor allem Briefeschreiber. Wenn man ihn in seiner Schreibwerkstatt im Park Rosenhöhe in Darmstadt besuchte, betrat man die Welt eines Dichters. Hier war er unumschränkter Herrscher über Wörter, mit denen er uns Lesern seinen jeweiligen Seelenzustand vermittelte. Der Suhrkamp-Autor war kein Mensch, der im persönlichen Gespräch allzu viel Nähe zuließ. Wer ihn das erste Mal sah und hörte, vermutete in ihm einen konservativen, steifen Norddeutschen. Dabei war Krolow alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Für mich waren seinen deftigen, die menschlichen Bedürfnisse spiegelnden „Bürgerlichen Gedichte“, die er unter dem Pseudonym Karol Kröpke (wohl in Anspielung auf das berühmte Café Kröpke in seiner Heimatstadt Hannover) veröffentlichte, am authentischsten. Nicht vergessen ist auch die Reihe „Lyrik, Lesern nahegebracht“, die wir von 1982 bis 1986 gemeinsam (dritter im Bunde war Fritz Deppert – auf unserem Foto zusammen mit Krolow und Hanne F. Juritz -, vor allem bekannt als Lektor für den Junglyriker-Wettstreit „Literarischer März“) für das Darmstädter Echo betreuten. Aber darüber sprachen wir bei unseren Begegnungen nicht. In Erinnerung geblieben ist der letzte Besuch bei ihm, als er schon mit dem Tode kokettierte. Es war das einzige Mal, dass er eine spontane Regung zeigte und mir an der Tür seine Hand auf die Schulter legte. Seine Art von Abschiednehmen.

Vor mir liegt ein Artikel, den ich anlässlich seines 70. Geburtstags im März 1985 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte und der so begann:

Dass ihn in Vormittagsstunden des Öfteren Schüler anriefen – in der Pause vor oder nach einer Deutschstunde – und ihn freiweg danach fragten, wie er denn selbst dieses oder jenes (seiner) Gedichte interpretieren würde, hält er für einen durchaus normalen Vorgang. Ein naheliegender Weg, ein unkomplizierter ist es zudem, denn Darmstadts Telefonbuch weist nur einen aus, der hier kompetenterweise Auskunft geben könnte. Er steht zwischen Krolopp, Erna, und Krolzyk, Horst – Karl Krolow, der Darmstädter (hier wohnt er seit 1956), der aus Hannover kam (wo er geboren ist). Büchner-Preisträger, ehemals Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Ehrendoktor der Technischen Hochschule Darmstadt, Übersetzer, Essayist, Literaturkritiker, aber vor allem Lyriker.

Dass er, seinem hannoverschen Naturell entsprechend, sich eher zurückhaltend geben, auf Außenstehende – seine Leser, Bewunderer, selbst seine Verehrer und Fans – reserviert wirken soll, ist hinlänglich bekannt und als Einstimmung ausreichend. So hat man ihn festgelegt. So ist sein Image. Das mag er vielleicht auch gerade so. Ein Dichter zum Anfassen?

Der Empfang ist fast schon eine Mischung aus Freundlichkeit und Herzlichkeit. Als er sich sogleich für Augenblicke mit einer Entschuldigung zurückzieht, er müsse diesen Gedanken, diesen Satz, der ihm soeben eingefallen sei, niederschreiben, kommt sogar ein wenig Vertrautheit auf. Solcherlei Spontaneität kenne ich. Dann ist er zurück, „vielleicht war dies der Anfang eines Gedichts?“, sagt er, und wir sind bereits mitten im Gespräch. Neugierig beginne ich, geradezu banal klingende Fragen zu stellen wie etwa: „Wie begann das eigentlich damals mit Ihrem Schreiben?“ „Ich war neun oder zehn“, so weit auszuholen, zurückzusteigen in die eigene Vergangenheit, ist er bereit, „da habe ich zu Mutters 40. Geburtstag einen Vierzeiler geliefert“.

„Passen Sie auf“, sagt er, mich aus weiteren Gedanken reißend, „wir sind noch nicht am Ende. Ich habe Vergänglichkeit durchgespielt“. Er erklärt, erläutert – und schafft Distanz zwischen sich und allem um sich herum. Mehr und mehr und offensichtlich. Und dann seine Bilanz als Schriftsteller, als Lyriker: „Ich habe das beschrieben, was übrigbleibt – nämlich nichts“. Er sagt dies ohne Wehmut, ohne Trauer. Faktum für ihn.

Im Blick auf seinen 80. Geburtstag ergab sich dann neuerlich die Gelegenheit zu einem Besuch in seiner Literatur-Werkstatt auf Darmstadts Rosenhöhe:

Herr Krolow, mit Blick auf Ernst Jünger, der seinen 100. Geburtstag vor sich hat, erscheint der 80. allenfalls als Zwischenstation. Zu welch gewandelten An- und Einsichten literarischer wie persönlicher Art zwingt das Alter zwangsläufig?

Krolow: Als Mensch, als Schriftsteller versuch(t)e ich einiges von dem zu fixieren, was mir wichtig ist. Sei es in Prosa oder in Lyrik. Und ich verfolgte das Kommen und Gehen der Kollegen und Kolleginnen, die so ähnlich arbeiteten oder arbeiten, wie ich es getan habe, aufmerksamer. Wenn ich mir diesen raschen Prozess vor Augen führe, bin ich erschrocken. Es wird wohl immer schwieriger, als Lyriker bekannt zu werden, ins Gespräch zu kommen – und durchzuhalten. Mir ist dies eine gewisse Zeit gelungen.

Zu Ihrem 50. Geburtstag legte Suhrkamp seinerzeit „Gesammelte Gedichte“ vor, jetzt ist ein Band mit „Gesammelter Prosa“ hinzugekommen. Schauen Sie denn gelegentlich gern zurück zu Ihren literarischen Anfängen?

Krolow: Ich gerate in archäologische Vorstellungen, wenn ich an Anfänge denke. Und damit auch an mögliche oder tatsächliche Entdeckungen: Das hast Du immerhin versucht, das ist Dir gelungen, das offenbar nicht – so meine Reaktion beim Wiedersehen alter Texte, was übrigens sehr selten geschieht. Gelegentlich ein Staunen, dass mir etwas gelang, ja Fassungslosigkeit, wie weit ich mich damals vorwagte, als ich Surrealismen ins Gedicht brachte. Nach dem Krieg für Leser etwas Unerhörtes.

Sie haben im Laufe Ihres literarischen Lebens in aberhunderten von Gedichten, Texten Ihre Sicht der Dinge, des Lebens, der vorgegebenen Abläufe sowie der Phantasie dem Leser präsentiert. Fragen Sie (sich) gelegentlich nach dem, was bleiben wird?

Krolow: Man fragt es sich nicht so bewusst, wie Sie es jetzt sagen. Aber da ist eine unterschwellige, ständige Bereitschaft zu dieser Frage. Es ist ein leiser Motor, der singt und einen aufmerksam macht. Wenn der abgeschaltet wird oder sich selber abschaltet, dann wäre dies schlecht für den Autor. Das ist für mich eine der Triebfedern, jedenfalls diese geheime Aufmerksamkeit sich selber gegenüber. Man muss eine Witterung haben, die etwas rascher ist als die Zeit, die eingeteilt ist ein für alle Mal. Nein, man muss dem zuvorkommen. Und wenn es nur um ein weniges ist. Dies habe ich immer wieder versucht im Laufe meines langen literarischen Lebens, wenigstens im Gedicht. Die sehr frühe Prosa will ich nicht zählen. Auch die Zeitungsprosa ist mir in einem engeren Sinn heute überhaupt nicht mehr wichtig, weil nicht empfindlich genug. Die Höhe der Sensibilität ist es, die mich reizt. Sie zu erreichen und wieder zu erreichen und möglichst zu überbieten, wenn das gelänge, ist ein Stachel, der immer da sein sollte. Und das gilt nicht nur für Literatur. Ich habe genug kommen und gehen sehen, genug Entwicklungsabläufe in ihren Anfängen, in ihrem langsamen oder auch zähem Enden, die Moden und Mätzchen, aber auch gewisse Beständigkeiten, die es schafften weiterzuleben…

 Brigitte Lindscheid (Jg. 1961) ist seit 2014 Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Darmstadt, das Interview mit ihr war Titelgeschichte („Gereizt hat mich die Fülle der rund 5.000 Aufgaben“) im WIR-Magazin Nr. 237. Im September 2015 traf ich mich mit ihr:

Frau Regierungspräsidentin, ich dachte, ich beginne unser Gespräch mit der Frage, welche Vorteile es hat, wenn man größer ist als der Durchschnitt.

Brigitte Lindscheid: Man wird leichter gesehen, wenn man gesucht wird. Dies ist als Regierungspräsidentin ein gewisser Vorteil.

Welche Voraussetzungen muss man eigentlich mitbringen, um Regierungspräsidentin zu werden?

Brigitte Lindscheid: Juristin zu sein ist mit Sicherheit hilfreich. Aber es ist auch von Vorteil, wenn man schon in vielen Bereichen Erfahrungen gesammelt hat und diese in die Verwaltungspraxis mit einbringen kann.

Vielerorts ist die Meinung zu vernehmen, dass dieser Job nur mit dem richtigen Parteibuch zu bekommen sei. Oder wie haben Sie Ihre Berufung empfunden?

Brigitte Lindscheid: Natürlich spielt die Parteizugehörigkeit eine Rolle. Wir arbeiten ja in enger Verbundenheit mit der Landesregierung zusammen. Und da ist es schon notwendig, dass ein Miteinander gewährleistet ist. Damit ist aber kein „Durchregieren“ gemeint, denn das Regierungspräsidium gewährleistet immer einen unabhängigen rechtlichen Standard.

Ein Landrat in Ihrem Verantwortungsbereich hat unlängst auf die Frage eines Journalisten, ob es in 10, 15 Jahren noch Landräte geben werde, geantwortet: Sicher, eher werden Regierungspräsidien überflüssig.

Brigitte Lindscheid: Regierungspräsidien waren in der Vergangenheit nicht überflüssig und werden es auch in Zukunft nicht sein. Sie sind genau die richtige Instanz für das, wofür man sie braucht. Nämlich Aufgaben aus den verschiedenen Ressorts unter einem Dach zu bündeln….

 Alexander U. Martens (Jg. 1935) begegnete ich, wie dies ja öfters im Leben der Fall ist, mehrmals. Er wirkte auf mich schon ein wenig arrogant, damals, als er noch beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels die eigentlich unvereinbare Doppelfunktion eines Pressesprechers einerseits und des Börsenblatt-Chefredakteurs andererseits ausübte. Später dann als „aspekte“-Moderator wurde aus dem Journalisten der kulturelle Schulmeister. Begegnet bin ich ihm, dem gelernten Verlagsbuchhändler, später, als er Präsident des Lions-Clubs Darmstadt-Castrum war, und mich einlud, einen Vortrag über Zustand und Probleme des Buchmarkts zu halten. Zuletzt trat er als Initiator und Moderator der Talkrunde „Neue Darmstädter Gespräche“ mehr als 50mal im Darmstädter Staatstheater auf. Für seine „langjährigen Verdienste für Kunst und Kultur“ wurde er 2012 mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen und ein Jahr darauf mit der Johann-Heinrich-Merck-Ehrung der Stadt Darmstadt ausgezeichnet.

In einem im März 2005 in „WIR. Das Regionalmagazin“ veröffentlichten Interview antwortete er auf meine Frage „Herr Martens, wie soll diese Gesellschaft strukturiert, beschaffen sein, in der Sie/man sich auch im Jahr 2010 und danach wohlfühlen kann?“ so:

Martens: Wir müssen wieder lernen, dass die Menschen nicht nur Konsumenten sind oder – um es mit den Worten von Bundespräsident Rau zu sagen – „dass es Dinge im menschlichen Leben gibt, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen“.

Und auf meine Zusatzfrage „Wie lautet Ihr Lebensmotto?“ antwortete er: „Auch Herkunft ist Zukunft“….

siw

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