WANDERER, KOMMST DU NACH DA …

Einer gegen Palaver; er schweigt, bis er was zu sagen hat: Fabian Lau.

Fast jeden Tag führt mich mein Weg zur Arbeit an dem beeindruckendsten Friedenssymbol Darmstadts vorbei; in der Dieburger Strasse: Wenn Zeit ist, halte ich inne und lasse es tief auf mich wirken. Geschäfte wurden in dieser Strasse eröffnet und wieder geschlossen, Buchhandlungen, Restaurants und Antiquitätenhändler kamen und verschwanden. Nur hieran hat sich nichts geändert, seit Jahrzehnten. Und noch immer ergreift mich eine staunende Rührung, wenn ich ihrer bewusst werde: der friedvollen Nachbarschaft von Bier Herrmann und Wein Schubert. Für mich der steinerne Beweis der Möglichkeit einer konfliktfreien Koexistenz zweier sehr unterschiedlicher Weltsichten. Kaum ein paar hundert Meter weiter westlich sieht es anders aus. Hier bedrückt mich umgehend eine ganz gegenteilige Atmosphäre: Lauthals verbale Schuldzuweisungen und immer wieder Diskussionen, die doch nur ins Leere laufen, mitklingend die bittere Ahnung, dass wohl nie Ruhe einkehren wird in die Wilhelminenstrasse. Lösungsansätze, die ungehört zwischen Käseglocke und Langem Lui in der dicken Luft verpuffen; leserbrieflange Analysen um die letztendlich doch tatsächlich Schuldigen: Sind es die Fussgänger, die wie Traumtänzer – ungewollt oder doch vielleicht aktive Provokation? –  immer wieder vor die Räder latschen? Oder wäre es an den Rädern, den Schwung von der Kuppelkirche hinab zwar nutzend, aber doch die Shopping-Bummler sensibler zu umfahren? Mag sein, dass unsere Freiheit auch mal am Hindukusch verteidigt werden kann. Der Krieg beginnt hier. Da hilft keine Ukrainefahne am Altbaubalkon im Watzeviertel, kein Falafel-Stand auf dem Riegerplatz und kein Solidaritätskonzert in der Oettinger Villa. Den eigenen Schritt kurz verzögern, das würde helfen; der kurze Hackentipp auf die Rücktrittbremse, An- und Für-, Über -, Rück- und vor allem Umsicht würden helfen. Aber wie schwer bitte ist das?

Ich hatte es schon erwähnt an dieser Stelle: Seit jeher gehören meine Träume gleichwertig zu meiner Realitätswahrnehmung, zur Reflexion meines Alltäglichen und seinen ewigen Herausforderungen, wie die angebrannte Béchamelsauce in meinen Edelstahltöpfen etwa oder der momentan andauernde Mangel an Gelben Säcken. Und nun dieser hier: Ich stehe, wie oft auch nicht im Traum, an der Teichhaus-, Ecke Nieder-Ramstädter-Strasse vor der roten Ampel; doch das Rotlicht meint diesmal zum mir: „Hallo, hopp, weiter geht’s! Ich bin jetzt das Zeichen, dass es weiter geht. Und wie!“ Worauf Gelb insistiert: „Heho, steh´n geblieben! Sagen wir jetzt mal so. Und das heisst: Abwarten; bald wird es weitergehen, und das wie bisher vielleicht!“ Und Grün noch dazwischen summt: „Allein ich weiss, dass es weitergeht und wie. Und wohin. Traue nur mir!“  Mir wird schwarz vor Augen; und dieses Schwarz prangert nun an: „Rot und Grün sind doch Schuld an all dem Unbill hier! Höchste Zeit, mal wieder schwarz zu malen.“ Und ich erwache gnadenlos.

„Die da oben …“, raunt später im Café jemand seiner Nachbarin zu. „Und die Energiekonzerne!“ gibt diese zurück. „Die, genau!“ meint auch meine Frau. „Wir sind so dumm …“ – „Aber das sind doch nicht unsere Vorbilder“, gebe ich zu Bedenken. „Sondern?“ hakt sie nach. „Bier Hermann und Wein Schubert“, schlage ich vor und bestelle noch ein Viertel.

 

Fabian Lau ist freier Autor, Krankenpfleger und Musiker. Und Wanderer; gern an der Bergstrasse, im Odenwald und sehr gern auch in Darmstadt. Er lebt in Malchen.

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