
Über Ablenkung in trostlosen Zeiten
Seitwärts statt vorwärts – so fühlt sich das Leben seit über einem Jahr an. Und da es zu Hause nach Dauerlockdown vielleicht nicht mehr am schönsten, aber eben am sichersten ist, empfehle ich heute statt eines Restaurants oder eines Weins leichte Kost für die Couch oder den Lesesessel: Zwei Weinfilme und ein Buch: Eben „Sideways“, „Ein gutes Jahr“ und „Bordeaux“.
„Wenn hier Einer Merlot bestellt, gehe ich“ – eine Schlüsselszene in „Sideways“, meinem absoluten Favoriten unter den Filmen zum Thema Wein. Miles, Weinfreak, -sammler und -connaisseur, aber trotzdem oder vielleicht auch deswegen erfolglos, an seinem seit vielen Jahren entstehenden Roman und den Frauen immerfort scheiternd, begleitet seinen besten Freund Jack, Frauenschwarm, beim Wein eher an den Mengen als der Qualität interessiert und kurz davor, reich zu heiraten, auf dessen Junggesellenabschiedstour. Das Ziel hat Miles ausgesucht: Die Weingebiete Kaliforniens. Doch die tatsächlichen Ziele der Reise könnten bei den beiden Freunden nicht unterschiedlicher sein: Miles möchte melancholisch genießen, sich in seinem Selbstmitleid und den besten Rotweinen Amerikas suhlen, Jack noch einmal auf den Putz hauen. So erleben die Beiden herrlich skurrile Tage, vermitteln den Zusehern spielerisch nebenbei Weinwissen und es endet natürlich, wie es enden muss: Mit der Liebe und einer „Einmal im Leben“-Flasche. Amor omnia vincit et in vinum gaudeanum est.
Ähnlich herrlich schlicht, nur nicht mit ganz so lustigen Dialogen geht es in „Ein gutes Jahr“ zu, einem „Weindrama“ des Erfolgsregisseurs Ridley Scott. Der ebenso kommerziell erfolgreiche wie rastlose und unglücklich verliebte Londoner Börsenmakler Max erbt das Weingut seines Onkels in der Provence, auf dem er die meiste Zeit seiner glücklich-romantischen Kindheit verbracht hat. Er fliegt schnell über den kleinen Teich, also den Ärmelkanal, um das Erbe zu verscherbeln und trifft dort – nun, wen auch sonst – seine große Liebe. 110 in diesen trostlosen Zeiten glücklich machende Minuten zieht es ihn hin und her zwischen Amor und dem schnöden Mammon. Schauen Sie selbst, um herauszufinden, wofür er sich entscheidet. „Sideways“ und „Ein gutes Jahr“ gibt es derzeit unter anderem kostenfrei bei Amazon Prime.
Wenn Sie es sich in diesen merkwürdig bleibenden Zeiten lieber im Lesesessel, statt vor dem Fernseher gemütlich machen, noch ein Tipp für ein kleines Büchlein zum Thema Wein: „Bordeaux – ein Roman in vier Jahrgängen“ von Paul Torday. In diesem Buch wird erzählt, wie die Liebe zum Wein das Leben bereichern und es gleichzeitig zerstören kann. Die Dosis macht das Gift.
Übrigens: Vielleicht können Sie, während Sie dies lesen, bereits wieder in einem Biergarten oder dem Außenbereich ihres Lieblingsitalieners sitzen und – ja, meinetwegen auch ein Glas Merlot trinken. Falls nicht, machen Sie es wie ich, während ich es schreibe: An Miles aus Sideways angelehnt mit einer „Einmal im Leben“-Flasche, passend zu dem verrückten Jahr, das wir hinter uns haben und das für die meisten sicher kein gutes war – perfekt begleitet von Erdnussflips.
Von Michael Ortmanns
Michael Ortmanns, 44, ist alles andere als ein Cineast – seine Kinobesuche lassen sich selbst in Nicht-Corona-Jahren an einer Zimmermann-Hand, also einer mit zwei bis drei Fingern, abzählen. Aber, was soll man in diesen trostlosen Zeiten schon machen, als vor dem Fernseher zu hängen. Deshalb empfiehlt der Autor diesmal in seinen Genussnotizen keine Restaurants, die man ohnehin nicht besuchen darf, sondern einen vergnüglichen, antidepressiven Nachmittag auf der eigenen Couch oder im Lesesessel. Natürlich begleitet von einer Flasche Wein.
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